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Leben in der Stadt ohne Zukunft

■ Minderjährige Flüchtlinge aus Afrika müssen in Hamburg komplizierte Hürden überwinden, um dann doch keine Chance zu bekommen.

Ein Schiff liegt im Hafen, irgendwo in Afrika; es fährt seinem Bestimmungsort entgegen, läuft einen Hafen an: vielleicht Hamburg, das Tor zur Welt. Hier endet die Reise. Das klingt trivial, alltäglich, ist aber manchmal der Beginn einer komplizierten Geschichte. Hundertfach pro Jahr transportieren Schiffe neben ihrer Fracht auch Menschen, ohne Ticket oder Paß, blinde Passagiere. Durch das Tor zur Welt kommen sie aus dieser Welt herein. Menschen, die zumeist unerwünscht sind. Von Anfang 1988 bis Ende 1994 registrierte die Statistik 995 solche Fälle.

Ein Hafen in Afrika; ob Monrovia, Abidjan, Mogadischu: egal, immer wieder liegen hier Schiffe, die wegfahren werden. Weg, fort: das wird zur Richtung, wenn es im eigenen Land keine Perspektive gibt. Keine Arbeit, keine Jobs, Bürgerkrieg und Verfolgung – das ist konkret. Reiche Länder, Chancen und Freiheit – das könnte ine Alternative sein, in welcher konkreten Stadt auch immer. Auch Jugendliche haben Bindungen und müssen trotzdem weitreichende Entscheidungen treffen.

Angekommen in Hamburg, gibt sich die freie Welt verschlossen. Erste Begegnung: die Wasserschutzpolizei. Blinde Passagiere, stowaways heißen für sie „Einschleicher“. Und das Zwillingswort dazu lautet: Zurückweisung. Damit beginnt immer wieder ein Spiel, ein Ritual, das bitterernst ist: erkennungsdienstliche Behandlung, Untersuchungsgefängnis und Rücktransport ins Herkunftsland. So bliebe die komplizierte Geschichte einfach. Besser also, man gelangt ungesehen an Land.

Die Mauern sind hoch rings um Deutschland, um die Festung Europa, doch es gibt Türchen. Wer aus keinem sicheren Drittland kommt, wird nicht so schnell abgeschoben. Wer über 16 ist, gilt nach dem Asylgesetz als Erwachsener, für die Jüngeren ist das Amt für Soziale Dienste zuständig. Um die Chance zu nutzen, die es kaum gibt, legalisiert man tunlichst seinen Status und stellt Asylantrag. Für die Älteren – die „Erwachsenen“ – zieht das meist die Umverteilung auf andere Bundesländer nach sich oder bedeutet Unterbringung auf den Flüchtlingsschiffen. Wer unter der Altersgrenze liegt, wird von Einrichtungen der Jugendhilfe betreut.

Die Alternative zur Jugendwohnung heißt Massenunterkunft

Über den Umgang mit diesen Regeln herrscht kein Konsens. Da meldet sich ein Jugendlicher aus Sierra Leone. Dorthin kann nicht abgeschoben werden. Könnte er nicht doch aus einem sicheren Drittland kommen? Der Nachweis fällt ohne Papiere schwer, aber dafür gibt es die Sprachexperten. Schließt der Dialekt des Flüchtlings die Herkunft aus einem anderen, einem sicheren Land nicht aus, findet sich vielleicht ein Konsulat, das Reisepapiere bereitstellt. Dann heißt die letzte Station in Deutschland bald Fuhlsbüttel. In Afrika stimmen National- und Sprachgrenzen meist nicht überein.

Auch das Aussehen ist interpretierbar; die Älteren könnte man umverteilen, loswerden. Doch welcher in einer fremden Umgebung verunsicherte Jugendliche kann ohne Papiere sein Alter beweisen? Das Asylgesetz schreibt „Kooperation“ vor, und nur auf legalem Weg, unter Beachtung der so ungleichen Spiel-Regeln läßt sich vielleicht die Chance nutzen. Die Chance auf eine Perspektive, die sich meist im Gewirr von Aufenthaltsberechtigung, -gestattung, -befugnis, -duldung verliert, sehr selten aber eine Ausbildung und wohl nie ein Arbeitsplatz ist.

Irgendwann auf dem weiteren Weg durch Ämter und „Erstaufnahmeeinrichtungen“ heißt die Station vielleicht Jugendwohnung. Doch es gehört viel Glück dazu, einen der knappen Plätze zu bekommen – die Alternative könnte ebensogut Massenunterkunft oder Obdachlosigkeit sein. Selbst unter den Chancenlosen gibt es noch Verlierer.

Beginnt in der Jugendwohnung eine solche Chance? Es könnte so aussehen: zusammen mit anderen afrikanischen Jugendlichen und den BetreuerInnen läßt sich dort Zukunft planen. Und wer festen Boden unter die Füße bekommt, dem fällt der geregelte Schulbesuch nicht schwer. Mit einer Ausbildung ist zuhause in Sierra Leone, Burkina Faso, Ghana viel anzufangen, nach der Rückkehr.

Der 16. Geburtstag – für deutsche Jugendliche ein ersehnter Einschnitt – verdunkelt für Afrikaner die Perspektiven: sie werden künftig wie Erwachsene behandelt, müssen umziehen in Sammelunterkünfte, verlieren die persönliche Betreuung. Aussichten auf eine mögliche Lehrstelle sind vergebens: nach dem Asylgesetz darf nur zwei Tage monatlich gearbeitet werden. Im Handumdrehen werden Motivation, Hoffnung, Geborgenheit zerstört. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit tauchen bald weniger einfühlsame Zeitgenossen auf, die unwiderstehliche Verlockungen kennen. Der kleine Aufstieg führt oft zum tiefen Absturz.

So erweist sich die Hoffnung auf eine Chance als Irrtum: für Afrikaner, für Ausländer gilt eben anderes Recht. Die oft erhobene Forderung, daß auch für jugendliche Flüchtlinge bis zum 18. Lebensjahr das Jugendschutzgesetz gelten soll, bleibt ungehört. Und selbst wenn eine solche Änderung möglich wäre: wer Schwarz ist, wird angefeindet, von jeder Polizeistreife kontrolliert, ausgegrenzt. So verschieden die Kids auch sind – ihr Fazit lautet stets gleich: keine Zukunft daheim, keine Chancen hier. Kay Dohnke

Der Autor ist freier Journalist und Mitglied von Reporter ohne Grenzen.

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