: Lauter undichte Stellen
■ Der Berliner Verfassungsschutz soll nach der Scientology-Affäre umstrukturiert werden. Doch die umstrittenen Pläne kommen nicht voran. Grüne fordern die Ablösung von Amtsleiter Vermander
Der Berliner Verfassungsschutz steckt in einer schweren Krise. Von der Affäre um die fälschliche Beschuldigung eines leitenden Polizeibeamten als Scientology-Mitglied hat sich das Amt ein Jahr danach nicht erholt. Und auch die Umstrukturierung des Geheimdienstes, die als Konsequenz aus der Affäre beschlossen wurde, kommt nicht voran. „Die gesamte Strukturreform ist ein Rohrkrepierer“, stellt die grüne Verfassungsschutzexpertin Renate Künast fest.
Von der Neuorganisation, die ursprünglich zum 24. April in Kraft treten sollte, ist bislang lediglich die Innenrevision eingeführt worden. Doch die verdient den Namen nicht, kritisiert Künast, da sie nur mit Genehmigung von Verfassungsschutzchef Eduard Vermander (62) tätig werden dürfe. Die Innenrevision müsse aber „vollkommen unabhängig“ arbeiten und auch ohne Anlaß Kontrollen durchführen können.
Nach Ansicht von Künast ist eine Erneuerung des Amtes mit dem derzeitigen Amtsleiter nicht zu machen. Vermander trage die Verantwortung dafür, daß ein Polizeibeamter trotz dürftiger Faktenlage zu Unrecht als Scientology-Mitglied eingestuft wurde, so Künast. Vermander habe den Fehler aber auf seine Mitarbeiter abgewälzt. „Reformen kann man nur umsetzen, wenn man Mitarbeiter motivieren kann.“ Vermander werde im Amt aber nicht mehr akzeptiert. „Wir brauchen einen neuen Amtsleiter.“ Auch die SPD-Abgeordnete Kirsten Flesch äußert Zweifel an Vermander: „Ich habe nicht den Eindruck, daß der Umstrukturierungsprozeß mit den Mitarbeitern des Geheimdienstes durchgeführt wird.“ Nur so könne eine Reform aber Erfolg zeigen.
Heftige Kritik äußert Künast aber auch an den Eckpunkten der Reform. Die geplante Trennung von Informationsbeschaffung und Auswertung hält sie für verfehlt. Nach Informationen der taz sollen sich die „Beschaffer“ künftig in einem Pool mit Links- und Rechtsextremismus sowie mit Ausländerextremismus befassen. Jeder soll jedes Gebiet bearbeiten. Die Auswertung bleibt hingegen den Fachbereichen vorbehalten. Auch im Amt ist diese Neuerung umstritten: Eine optimale Zusammenarbeit setze voraus, daß Beschaffer und Auswerter an einem Tisch säßen. „Die Tragik ist“, so Künast, „daß Werthebach auch als Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz immer für eine Zusammenlegung von Beschaffung und Auswertung war.“ So räumte Werthebach im parlamentarischen Verfassungsschutzausschuß vor kurzem ein, daß die Trennung von Informationsbeschaffung und Auswertung zu Zeitverzögerungen führen könne. Die Erfahrungen mit dem neuen Modell sollten nach einem Jahr ausgewertet werden, ließ er sich ein Hintertürchen offen. Auch die geplante Einstellung neuer Mitarbeiter stößt auf Hindernisse. Auf zwei Stellenausschreibungen bewarben sich immerhin hundert Interessenten. Er sei zuversichtlich, sagte Werthebach vor kurzem, daß darunter qualifizierte Kräfte seien, die die Leistungsfähigkeit des Amtes wiederherstellten. Insgesamt sieben Stellen sind zu besetzen. Doch die geplante Einstellung zum 1. Juli ist fraglich. „Werthebach hat versäumt, die beamtenrechtliche Situation zu klären“, so Künasts Vorwurf. Ungeklärt ist noch, was aus Vizeamtsleiter Klaus Müller wird. Seine Stelle soll künftig entfallen, doch ihm muß nach dem Beamtenrecht eine andere adäquate Position angeboten werden.
Künast kritisiert, daß es künftig keinen Vizechef mehr im Verfassungsschutz geben soll. Das Boeden-Gutachten zur Reform des Verfassungsschutzes, das schon 1992 vom Verfassungsschutzausschuß beschlossen, aber nie umgesetzt wurde, habe die Bedeutung der Stelle für die intensivere Führungsarbeit betont. Das Argument, man wolle mit dem Wegfall des Vize den Apparat „verschlanken“, zieht nach Künasts Ansicht nicht, denn zugleich werden die bisher drei Abteilungen in fünf Abteilungen aufgeteilt und damit zwei zusätzliche Leitungspositionen geschaffen.
Werthebach wird auch seine Zusage, die neuen Stellen nach dem neuen Dienstrecht zu besetzen, nicht einhalten können. Die Neuregelung soll eine leichtere Umsetzung von Beamten ermöglichen. Führungspositionen sollen nur noch befristet vergeben werden. Doch die CDU blockiert die Verabschiedung der Dienstrechtsreform im Parlament – für Künast ein Zeichen für die Schwäche des Innensenators.
Unter den 250 MitarbeiterInnen der Behörde greift derweil Frustration um sich. Als Gradmesser dafür, wie groß die Verbitterung ist, kann eine gefälschte Presseerklärung des Verfassungsschutzes gewertet werden, die die Verantwortlichkeit einzelner Mitarbeiter in der Scientology-Affäre auflistete. Das Schreiben muß ein Insider verfaßt haben, davon geht auch die ermittelnde Polizei aus. Im Verfassungsschutz wird derzeit wieder einmal mit großem Einsatz nach der undichten Stelle gesucht – das verbessert das Arbeitsklima auch nicht. Dorothee Winden
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