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Lauter Wackelkandidaten

Rein oder nicht rein? Bei dieser Bundestagswahl traut sich wegen der Verkleinerung des Parlaments kaum einer Prognosen für die Bremer Kandidaten zu. Sicher ist nur: Die große Koalition wird drei Mann durchbringen

In fünf Tagen wird gewählt. Wer Bremen danach in Berlin repräsentieren wird, ist durch die Verkleinerung des Bundestages ungewisser denn je. Sicher ist nur eines: Wenn die Deutschen exakt so wählen würden wie 1998, würde sich durch die Neueinteilung der Wahlkreise für Bremen nichts verändern.

Zwar gibt es nur noch zwei Bremer Direktmandate statt der drei, die 1998 traditionsgemäß die SPD holte. Aber aufgrund der Zahl der gewonnenen Zweitstimmen würde die SPD zusätzlich ein Mandat über ihre Landesliste gewinnen. Die CDU bliebe bei ihrem einen Sitz per Landesliste, die Grünen ebenfalls. Das hat der Bundeswahlleiter mal spaßeshalber so ausgerechnet. In Wahrheit ist eine originalgetreue Kopie des 98er Ergebnisses natürlich äußerst unwahrscheinlich. Und deswegen geht im Stadtstaat das große Rätseln um.

Wenig Gedanken muss man sich über die beiden verbliebenen Direktmandate machen. Wenn nicht in der letzten Wahlkampfwoche noch irgendwelche Barscheleien ans Tageslicht kommen, haben die beiden SPD-Kandidaten nichts zu befürchten. Im Wahlkreis 54, auch genannt „Bremen 1“, der sich vom Bürgerpark südöstlich erstreckt, holte die SPD 1998 umgerechnet 51,5 Prozent der Erststimmen; Kandidat Volker Kröning hatte es in seinem alten Wahlkreis Bremen-Ost auf 50,7 Prozent gebracht. Noch komfortabler sieht es für den Newcomer Uwe Beckmeyer aus: Im Gebiet des neuen Wahlkreises 55 alias „Bremen 2“, der vom Bürgerpark westlich über Bremen Nord bis nach Bremerhaven geht, holte die SPD sage und schreibe 59,3 Prozent der Erststimmen – fast schon eine Mandatsversicherung. Für die CDU-Kandidaten Michael Teiser und Bernd Neumann wird da kein Blumentopf zu gewinnen sein. 30 Prozent könnten als Achtungserfolg durchgehen. Sie müssen auf die Landesliste hoffen. Die dürfte Bremens dienstältestem Bundestagsabgeordneten Neumann auf Platz eins den Wiedereinzug ins Parlament garantieren. Teiser dagegen ist fast chancenlos: 1998 fehlten ihm rund viertausend Stimmen. Und in diesem Jahr wird es noch schwerer für den zweiten Mann der CDU: Einerseits wird der neue Bundestag nur noch 598 statt der bisherigen 656 Sitze haben. Zum anderen ist das Bremer Wahlvolk geschrumpft – der Einwohnerverlust schlägt mit minus 8.000 Wahlberechtigten zu Buche. „Und das werden nicht alles Sozialhilfeempfänger sein“, weiß Teiser, „sondern vor allem Leute, die das Geld für ein Haus im Grünen haben und tendenziell uns wählen würden.“

Aber genau weiß das bis Sonntagabend niemand. Es hängt nämlich neben der absoluten Stimmenzahl auch von der Wahlbeteiligung und den Ergebnissen der anderen Landesverbände der eigenen Partei ab. Das funktioniert ungefähr so: Nach der so genannten „Niemeyer-Formel“ wird berechnet, wie viele Sitze den einzelnen Parteien nach ihren Zweitstimmen zustehen. Dabei kommen meist krumme Zahlen heraus. Die ganzen Zahlen werden nach Listenplatz länderweise aufgeteilt. Aus den Stimmenzahlen hinterm Komma wird für jede Partei ein Bundespool gebildet, nach dessen Größe jede Partei eine entsprechende Anzahl Restmandate erhält. Welche Landesliste bei der Verteilung zum Zuge kommt, entscheidet die Zahl hinterm Komma. Faustregel: Über 0,5 stehen die Chancen gut. Darauf muss etwa Claus Jäger, die Nummer eins der FDP, hoffen: „Mein Einzug ist nur bei einem zweistelligen Wahlergebnis der Bremer FDP realistisch.“ Dafür müsste er allerdings gut 40 Prozent mehr Menschen überzeugen als 1998. Noch wichtiger ist allerdings ein Ergebnis, das deutlich über dem Bundesschnitt der eigenen Partei liegt – dann kommt man bei den Reststimmen zuerst dran. Das ist die Chance für die Grüne Marieluise Beck, die 1998 mit 11,1 Prozent der Zweitstimmen in das hohe Haus einzog – bei einem Bundesergebnis von 6,7 Prozent in der grünen Sitz-Hierarchie ganz oben.

Aber auch die SPD könnte ihrem Herren-Duo noch eine Dame zur Seite stellen: Wenn die SPD wieder so abräumt wie 1998, blieben für Cornelia Wiedemeier Stimmen im Wert eines guten halben Mandats übrig. Mit ein wenig Glück könnte das reichen. Die Bremer PDS-Abgeordneten dagegen brauchen wohl keine Koffer für Berlin zu packen.

Was lernen wir daraus? 1. Wählen gehen! Das erhöht die Chancen, Bremer Abgeordnete nach Berlin zu schicken. Theoretisch können das zwischen drei und sechs sein, sogar sieben gab es im alten, großen Bundestag schon. 2. Gegen Beckmeyer, Kröning und Neumann ist kein Kraut gewachsen. 3. Für die anderen heißt es: Zittern bis zum frühen Montagmorgen. Jan Kahlcke

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