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Lauernder Abgrund

Kein simples „Whodunit“: Billy Wilders „Double Indemnity“ im Metropolis  ■ Von Dirk Schneider

Billy Wilders Double Indemnity gilt als nahezu perfekter Film. Da wird ihm auch die Szene nachgesehen, in der eine Wohnungstür nach außen aufgeht, nur damit sich die Frau ohne Gewissen, so der deutsche Verleihtitel, dahinter verste-cken kann. Vielleicht ist es aber auch gerade die Beinahe-Perfektion, die diesen Film so gelungen macht. Kameramann John Seitz soll, nachdem eine Szene makellos ausgeleuchtet war, noch einmal mit dem Fuß gegen die Lampen getreten haben, damit das Licht nicht zu sehr nach Kino aussah.

Der Film von 1944 gehört zu den ersten der Schwarzen Serie. Er ist erzählt als Beichte des Versicherungsvertreters Walter Neff (Fred MacMurray), der sich in die attraktive Phyllis Dietrichson (Barbara Stanwyck), die Frau eines seiner Klienten, verliebt. Sie überredet ihn, eine Unfallversicherung für ihren Mann abzuschließen und diesen dann gemeinsam umzubringen.

Die Aufklärung des Falls obliegt ausgerechnet Neffs bestem Freund und Kollegen Barton Keyes (Edward G. Robinson) aus der Abteilung Versicherungsbetrug. So wird ihm sein Freund zum Feind. Aber das große Misstrauen macht sich nicht nur hier breit. Nach und nach muss Neff feststellen, dass die Frau, die er liebt, Abgründe hat, von denen er nichts geahnt hat. So abgegriffen das klingt, man kann zusehen, wie sich die Schlinge um seinen Hals langsam zuzieht, wenn ihn eine Neuigkeit nach der anderen erreicht und immer deutlicher wird, dass auch er nur ein Werkzeug im perfiden Plan der Platinblonden ist. Allerdings ist auch der Versicherungsvertreter keiner von den Guten. Zunächst nur ein schmieriger, geiler Macho, findet er durch seine Tat aber zu einem Ansatz von Selbsterkenntnis.

Hitchcock hat den Film geliebt. Kein Wunder, ist die Geschichte doch kein simples „Whodunit“, es wird kein Mörder gesucht, und es steht noch nicht mal ein cooler, abgehalfterter Detektiv im Mittelpunkt. Es geht um einen grauen Durchschnittstypen, der auf einmal alles, wovon er je zu träumen wagte – eine attraktive blonde Frau und eine größere Summe Geld –, zum Greifen nahe sieht und wieder einmal nur als Opfer endet. So unmoralische und unsympathische Figuren hatte Hollywood bis dahin selten in der Hauptrolle gesehen – schon gar nicht in der Maske einer verheirateten amerikanischen Frau.

Dennoch muss man mit den beiden bangen, entwickelt Sympathien für sie. Das ist auch ein anschauliches Beispiel für die Macht des Kinos. Stilgerecht endet der Film damit, dass Neff, angeschossen auf dem Boden liegend und jetzt doch eine Art Held, von Keyes, seinem einzigen Freund, den er gewissermaßen verraten hat, Feuer für die letzte der ungezählten Zigaretten dieses Films bekommt. Das ist ein unschlagbarer Schluss. Wilder hatte bereits eine aufwändige Hinrichtungsszene in einer eigens nachgebauten Gaskammer gefilmt, dann aber eingesehen, dass über das Ende mit der Zigarette nichts mehr hinausgeht.

Eine andere berühmt gewordene Szene wurde indirekt ausgerechnet durch die Zensur erfunden. Neff hat sich auf der Rückbank des Autos versteckt, als seine Komplizin ihren Mann zum Bahnhof fährt. In einer dunklen Seitenstraße soll er den Ehemann von hinten erwürgen. Einen detaillierten Mord hätten die Zensurbehörden Wilder nicht durchgehen lassen (eine Hinrichtung in der Gaskammer offensichtlich schon), und so ist nichts zu sehen als das Gesicht von Barbara Stanwyck, das versteinert geradeaus starrt und einmal kurz zusammenzuckt. Nun, Herr Wilder, einen Anflug von Gewissen hat diese Frau wohl doch, obwohl Sie den deutschen Verleihtitel aus anderen Gründen idiotisch fanden: „Das würde ja auf etwa 1,6 Milliarden Frauen zutreffen.“

Im Metropolis läuft der Film in der Originalfassung, und das ist gut so, denn die lakonischen Dialoge von Raymond Chandler, der das Drehbuch geschrieben hat, sind kaum zu übersetzen.

heute + So, 17 Uhr, Metropolis

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