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Latschen für die liebe, gute Ordnung

Die Polizei von Mecklenburg-Vorpommern hat Probleme mit dem Staatsanwalt und der Bevölkerung. Das kümmert den Kontaktbereichsbeamten Gerd-Udo Hensel in Altentreptow nicht. Mit ihm auf Streife ging  ■ Bascha Mika

Er hat Schuhgröße 41, und seine Füße sind eher schmal. In glänzendes, schwarzes Leder gepackt schlendern, stapfen, stiefeln sie durchs mecklenburgische Altentreptow – seit 34 Jahren. Darüber trägt er eine tadellose Uniform, ein artiges Gesicht und eine ordentliche Gesinnung. Gerd-Udo Hensel ist Kob, ein Kontaktbereichsbeamter. Ein Schutzmann, der tatsächlich noch Streife läuft, statt zu fahren. Und der verkündet, als gebe es da gar keinen Zweifel: „Ich bin der liebe und gute Polizist.“

Wenn Gerd-Udo Hensel die Polizeistation auf dem Berge von Altentreptow verläßt, wenn er den Fuß auf die Außentreppe und damit in die Öffentlichkeit setzt, straffen sich seine Schultern und seine Gedanken. Augen auf, Ohren gespitzt, den strengen Blick hinter einem väterlichen Lächeln verborgen. Gemessen setzt er einen Schritt vor den anderen, wie ein Flaneur mit unendlich viel Zeit. Das gehört zum Konzept. Grüßen, sich ansprechen lassen. „Den Udo“, bemerkt er mit Stolz, „den kennt hier jeder. Wenn ich komme, haben die Leute ein Gefühl von Sicherheit. Sie freuen sich, mich zu sehen ... Na ja, zumindest die Älteren.“

Schmal sind die Straßen den Berg hinunter, die Vorgärten geputzt. „Halt!“ ruft Hensel und streckt den Arm als Stoppsignal in die Fahrbahn. Flugs springt ein 12jähriger vom Rad. „Naaa“, fragt Oberlehrer Hensel, „was machen wir denn falsch?“ – „Bin verkehrt in die Einbahnstraße gefahren“, meldet der Junge gehorsam. „Absteigen!“ kommandiert der Schutzmann milde und fügt, schon nicht mehr an den Missetäter gewandt, hinzu: „Wenn man das richtige Wort findet, sind doch viele sehr einsichtig.“

Altentreptow in der Nähe von Neubrandenburg, ein Nest mit 7.000 Einwohnern und 16 Polizisten. Vor der Wende patrouillierten hier acht Fußstreifen. Heute ist Hensel allein. Denn durch die Straßen zu latschen ist nicht gerade Polizistentraum. Zu anstrengend, zu nah dran am Volk, wozu hat man den Streifenwagen, diese sichere Burg. Doch je mehr das Vertrauen in die Polizei schwindet – vor allem in den neuen Bundesländern – desto stärker propagieren Innenministerien und Polizeiführung das alte Wachtmeisterprinzip. „Öffentliche Präsenz“ ist das Stichwort, mit dem sie die Angst vor Chaos und Anarchie bannen wollen. Und niemand ist präsenter als ein Fußgänger. – „Guten Tag“, murmelt ein junger Mann und überholt Hensel hastig von links. „Tach“, gibt der zurück und brummt, mit Blick auf den davoneilenden Rücken: „Den hab' ich auch schon in Handschellen gehabt. Hat'n Moped geklaut. Grüßt mich trotzdem. Ist nie wieder aufgefallen.“

Kein Polizist ist über das, was in der Nachbarschaft läuft, besser informiert als der Kob. Er schnappt hier mal „was auf, kriegt dort was mit, kennt seine Pappenheimer“. Und wenn dann mal ein Auto geklaut, eine Oma überfallen, eine Randale angezettelt wird ... Ein Kob ist zuallererst Polizist, auch wenn er sich heute gern gibt wie eine Mischung aus Sozial- und Öffentlichkeitsarbeiter.

Runter geht's in die Innenstadt. „Ordnung muß sein“, sagt Hensel und wählt den Umweg über einen Pflasterstreifen, statt wie alle anderen über den Rasen zu trampeln. „Ordnung muß sein“, sagt Hensel und schüttelt betrübt den Kopf über Unkraut im Rinnstein und eine überquellende Mülltonne. Und weil Ordnung sein muß, bedauert er sehr, daß er keine freiwilligen Helfer aus der Bevölkerung mehr hat. Das war in der deutsch- demokratischen Republik so üblich. „Warum soll'n Bürger nicht die Polizeiarbeit unterstützen? Das würde doch allen nützen.“

Viel habe sich für ihn seit der Wende eigentlich nicht geändert. Na ja, das Militärische sei raus bei der Polizei und die neue Uniform – zufrieden mustert er seine senfgelbe Kluft – die sei viel bequemer. „Aber ich hab auch zu DDR-Zeiten bitter mein Brot verdient“, deklamiert der Mittfünfziger mit großer Geste und zeigt auf seine kleinen Füße. Sicher hätte auch er sich mal zu einem Ausreiseantrag äußern müssen, „aber meine Hinweise haben nie zu einer Hinrichtung geführt“. Deshalb durfte er Polizist bleiben. Er sei ja nur Schutzmann gewesen, nicht etwa ABV, ein Abschnittsbevollmächtigter; so einer hätte schon ein bißchen mehr mit der Stasi zu tun gehabt. Doch das mit der DDR als Überwachungsstaat sei Quatsch, niemand habe das so empfunden und „heute erzählen mir die Leute auch nicht mehr als früher“. Nur sicherer hätten sich damals alle gefühlt und sich besser verstanden.

Das Rathaus, Kaufhaus „Jola“ und eine Kneipe: der Marktplatz von Altentreptow. Auf einer Bank sitzen die drei ortsansässigen Obdachlosen und schlucken. „Das sind alles meine Freunde“, sagt Hensel, „meine Schafe.“ Stramm baut er sich vor ihnen auf, die Hände in die Hüften gestemmt. Doch er klingt eher besorgt als scharf: „Wie geht's dir?“ fragt er eine Frau mit nackten, schorfigen Beinen, „will'ste nich' doch mal zur Beratung kommen?“ In Mecklenburg-Vorpommern wird extrem viel gesoffen, mehr als in jedem anderen Bundesland, und Hensel engagiert sich in der Alkoholikerhilfe. Doch hier hat er wieder kein Glück. „Wenn ich will, kann ich jederzeit aufhören mit dem Trinken“, grummelt das Gerippe mit der Flasche und wendet sich ab.

Während Hensel noch Überzeugungsarbeit leistet, haben sich in seinem Rücken drei alte Damen eingefunden. Bereitwillig tun sie ihre Meinung zur Polizei kund. „Außer dem Schutzmann da“, stellt die große Hagere fest, „sieht man die Polizei doch gar nicht mehr.“ Und die kleine Dame bemerkt empört: „Ich sag den Jugendlichen immer, sie sollen nicht mit den Füßen auf die Bänke gehen. Da müßte die Polizei doch mal was machen.“

Statt dessen wischt sich die Polizei den Schweiß von der Stirn, zockelt weiter und grübelt. „Früher waren wir ja wirklich für alles zuständig, heute darf ich vieles nicht mehr.“ An einer Straßenecke hocken ein paar Halbwüchsige und qualmen. Resigniert fragt Hensel nach ihrem Alter. Erst grinsen die Kids ihn aus, dann phantasieren sie sich eine Antwort zusammen. „Früher, da wäre ich in die Schule gegangen und hätte das vor die Klasse gebracht“, seufzt Hensel und verteidigt sich sofort: „Das war ja keine Folter, das war eine sinnvolle Erziehungsmaßnahme. Die wußten dann, wohin sie zu marschieren hatten im Leben.“

Heute marschiert in Altentreptow nur noch Gerd-Udo Hensel. Und kommt sich manchmal als guter Polizist ein wenig ver loren vor.

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