: László Darvasi: „igen“ und „ja“
Über Entwicklung unterhielt ich mich unlängst mit Joachim Helfer in einem Café, und ich habe nur etwas gebrummelt. Ich konnte ihm nicht erklären, warum es so abwegig ist, im Zusammenhang mit Ungarn über Entwicklung zu reden. Inzwischen ist mir der denkbar einleuchtendste Beweis dafür eingefallen. Es genügt, „ja“ zu sagen. In beiden Sprachen: auf ungarisch und auf deutsch.
„Ja“, sagt der Deutsche und kippt seine Stirn leicht zur Seite, während er so tut, als wolle er sein Kinn im Gesicht verschwinden lassen. Sein Gesicht nimmt dabei einen etwas einfältigen Ausdruck an. Eine Einfältigkeit aber, die auch überaus offen und fruchtbar und dennoch nachdenklich wirkt. Ein ganz und gar optimistischer Gesichtsausdruck, voll von schwindelerregenden Perspektiven und extrem verfeinerten Strukturen. „Ja“, sagt der Deutsche, und in diesem Ja sind Beethoven und Heine enthalten und auch das Ruhrgebiet.
Das ungarische „igen“ hingegen ist zweisilbig, und genau das ist wohl das Verhängnis.
Der Ungar hält nach einer stürmischen und voreilig optimistischen sprachlichen Attacke – dem Vokal „i“ – inne und bringt dann den zweiten Teil des Wortes, die Silbe „gen“, auf eine Weise hervor, als kletterte seine Zunge gerade aus einer tiefen Schlucht. Nach dem schallenden „i“ wirkt die Silbe „gen“ schwach und ermattet, bisweilen sogar total desillusioniert und melancholisch.
Das „gen“ hat so seine Erfahrungen, kennt auch Triumphe, doch am meisten erinnert es sich an Niederlagen. Das „i“ hat kein Gedächtnis, das „gen“ hat nur Erinnerungen. „Igen“ kann sich niemals so öffnen wie das deutsche „Ja“, seine Struktur läßt es einfach nicht zu, sein Verhältnis zur Welt ist nicht eindeutig geklärt; das ungarische „igen“ ist dissonant, verwirrt und kleinmütig. Freilich hat auch das deutsche „Ja“ seine Tücken. Ihm geht jedwede Umsicht ab, es hat keine innere Bremse. Einmal ausgesprochen, rennt es geradewegs unter den freien Himmel. Der zweite Laut des deutschen „Ja“, der Vokal „a“, kann in extrem finsteren Momenten des Deutschtums zum schrillen Schrei werden. Um es milde auszudrücken.
Wenn ich richtig bedenke, fällt mir zum Thema Entwicklung neuerdings doch etwas Ungarisches ein: ein konkreter Mensch. Er ist blond, hat blaue Augen und wiegt sechzehn Pfund auf der Waage des Kinderarztes. Manchmal bleibe ich über ihm stehen und murmele ihm Dinge zu wie: „Entwickle dich, mein Junge, sonst kriegst du Dresche!“
Aus dem Ungarischen von Péter Máté.
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