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Last Exit Langeweile

Georg Büchners Leonce und Lena unter der Regie von Stefan Pucher hat am Samstag im Schaupielhaus Premiere  ■ Von Christian T. Schön

Gähn! Schon wieder nichts los. Was heute tun, was tun? Ins Gras legen und die Nase oben zwischen den Halmen herausblühen lassen, um romantische Empfindungen zu beziehen, wenn die Bienen und Schmetterlinge sich darauf wiegen wie auf einer Rose? So empfiehlt es zumindest Valerio in Georg Büchners Lustspiel Leonce und Lena, das am Samstag unter der Regie von Stefan Pucher im Schauspielhaus Premiere hat, wo er zuletzt eine hochgelobte Möwe von Tschechow zeigte.

Das Wetter in Hamburg ist gerade wieder einmal erdrückend, doch nur die wenigstem können sich den Luxus des Müßiganges leis-ten. Bald kommt der Sommer, und dann sitzen sie wieder alle da, in den sonnigen Straßencafés. Und man kann sich fragen oder freuen – je nach dem, zu welcher Seite man gehört, zur arbeitenden oder zur nicht-arbeitenden –, wie das Leben so ist, wenn man „frei/Zeit“ hat.

Wer sind diese Glücklichen? Was ist an Freizeit so Schönes, und was fängt man mit ihr an? Wo beginnt „faul sein“, und wer darf das? Prinz Leonce, gespielt von Alexander Scheer, langweilt sich ein Loch in den Bauch; in wortreichen Tautologien sinniert er über Lebensüberdruss und Weltschmerz. Zusammen mit seinem geschwätzigen Gesinnungsfreund Valerio (Samuel Weiss) sind sie Jungfrauen „in der Arbeit“. Aber arbeiten müssen und wollen sie auch nicht, denn: „Wer arbeitet, ist ein Schuft.“ Als Le-onces Vater Peter (Wolfram Koch), König vom Reiche Popo, seinen Sohn mit einer ihm nicht bekannten Prinzessin vom Reiche Pipi vermählen und ihm die Regierungsgeschäfte übertragen will, ist das für Leonce und Valerio Grund genug abzuhauen – sowohl vor der erzwungenen Liebe als auch vor der Bürde des Regierens.

Auf der Flucht treffen sie zufällig, und ohne es zu ahnen, eben jene Prinzessin Lena (Wiebke Puls), die ihrerseits vor der unfreiwilligen Vermählung türmte. Leonce und Lena verlieben sich und heiraten schließlich doch. So weit die Handlung in aller Kürze. Doch Leonce und Lena ist nicht allein eine Liebesgeschichte, kein Romeo und Julia mit Happy End.

Im Frühjahr 1836 von Büchner parallel zum Woyzeck verfasst, karikiert Leonce und Lena vor allem die Nichtsnutzigkeit und Geschwätzigkeit des Adels, die Unterwürfigkeit und Dummheit seiner Höflinge. Der vergessliche König muss an sein Volk erinnert werden, die Bauern, die für die Hochzeits-parade bereitstehen, werden ausgebeutet und verhöhnt. Mit leichtfüßigen Wortspielen und bodenlosen Dialogen, die auf der Bühne sicher zu Lachern werden, zerreißt Büchner zugleich mit der romantischen Sehnsucht nach Liebe Idylle und Natur.

Aus der Gegenwart betrachtet: Die industrielle Revolution hat uns die Arbeits- und Zeitersparnis bereitet, die heute Freizeit ermöglicht und sogenannte Vollbeschäftigung unmöglich erscheinen lässt: Seit 150 Jahren steigt die Pro-Kopf-Produktivität, gleichzeitig sinkt das Arbeitsvolumen. Immer weniger Menschen machen immer mehr Arbeit. Was übrig bleibt, heißt wahlweise Freizeit oder Arbeitslosigkeit. Leonces Ausruf „Wer arbeitet, ist ein Schuft“ könnte da wie eine Antwort auf das Kanzlerwort „Es gibt kein Recht auf Faulheit!“ verstanden werden. Der Soziologe André Gorz fordert sogar den „Exodus aus der Arbeitsgesellschaft“: „Sie besteht nicht mehr und kehrt auch nicht wieder zurück. Die Arbeit kann dann ganz natürlich zu einer Dimension des Lebens unter vielen werden.“

Doch gerade Gorz' Idee, Intelligenz und Phantasie (losgelöst von Arbeitszeiten) als „Hauptproduktivkräfte“ zu etablieren und Langeweile, Faulheit und Arbeitslosigkeit von ihrem negativen Image zu befreien, stößt auf politische Widerstände: „Gerade in ihrem Tod entpuppt sich die Arbeit als die totalitäre Macht, die keinen anderen Gott neben sich duldet“, formulierte 1999 die Gruppe Krisis in ihrem „Manifest gegen die Arbeit“ – aktuell zu beobachten im Wahlkampf der Arbeitslosenzahlen.

Von Büchners Leonce und Lena zum „Manifest gegen die Arbeit“ ist es zwar ein weiter Bogen. Doch die Inszenierung mit Ensemble, über 30 Statisten, Musik (Lieven Brunckhorst) und Video (Meika Dresenkamp) unter Stefan Puchers erfrischender Regie wird ihn schlagen und nach dem Sinn des Leben in einer Welt ohne Arbeit fragen.

Premiere: Sa, 20 Uhr; weitere Vorstellungen: 17. und 23.2., Schauspielhaus

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