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„L'art pour l'art“ trifft Ethno-Bastelei

■ Die 30. Ausstellung im Medienhaus an der Schwachhauser Heerstraße

Pünktlich zur Dämmerung, die Zeremonienmeister Detlev Hanke für 20.45 Uhr angekündigt hatte, erschallte ein Chor tibetanischer Mönche über die Köpfe der etwa 200 Besucher hinweg. Dann senkten sich vier überdimensionale Bahnen aus Stahlwolle vor den klassizistischen Säulen des Gebäudes in die brennenden Schalen zu Füßen derselben, um sich dort zu entzünden und langsam über fünf, sechs Meter bis nach oben durchzuglühen. Ein archaischer Feuerkult, ganz im Sinne des olympischen Jahres. Ort: Das Medienhaus in der Schwachhauser Heerstraße. Anlaß: Die 30. Ausstellungseröffnung in diesem eher für kommerzielles Marketing als für hohe Kunst bekannten Haus. Das zahlreich anwesende Publikum – von den Würdenträgern des Otto-Versandes (wichtiger Agenturkunde!) bis zu den Angestellten und Freunden – quittierte die Vorstellung mit Applaus, während ein Kameramann von Sat.1 mit seinem Objektiv dicht an der gezähmten Pyrotechnik bewies, wie gefährlich investigativer Journalismus in Sachen Kunst doch sein kann.

Der Anblick des funkensprühenden Stahls in unserer diesbezüglich doch arg gebeutelten Stadt freilich war's auch wert, gefeiert zu werden. Hatte der heimische Künstler Piet Schnabel damit doch einmal mehr bewiesen, daß er mit solch pyrotechnischen Gesellenstücken inzwischen zu den Hoffnungsträgern der heimischen Kunstszene zählt. Denn mag er selber auch noch so wenig an Olympia und die Werftenkrise gedacht haben: Seine Intuition funktioniert, weil er sich wie ein Analytiker mit frei flottierender Aufmerksamkeit den Zeitströmungen hingibt. So etwa, wenn er augenzwinkernd die Salonfähigkeit des Konservativismus thematisiert, indem er hoch über der Bar des Medienhauses eine waagerecht rotierende, von unten mit Wolken bemalte, von oben mit modelleisenbahnhaften Bäumen bepflanzte Scheibe aufhängt. Titel: „Die Erde ist doch eine Scheibe“.

Den Gegenpol zu solch „altmodischer“ Sinnhaftigkeit der Kunst vertritt sein Ausstellungskollege Thomas Lippick. Dieser – ebenfalls in Bremen beheimatete – Maler verzichtet programmatisch auf jeglichen Titel für seine Werke. Ihm geht es nicht um intellektuelle Inhalte, sondern um Assoziationen im Feld der Wahrnehmung und des Gefühls. Diese versucht er mit einem graphischen Formalismus unter der Wirkung harmonisch komponierter Farben zu evozieren. Was manchmal zu bloß dekorativem Ästhetizismus, manchmal aber auch zu symbolischen, beinahe an Antoni Tàpies gemahnenden Tableaus führt.

Der Kontrast zwischen diesem „L'art pour l'art“-Maler und seinem ethnographisch-politisch inspirierten Objektkünstler-Pendant freilich ist in dieser Ausstellung spannend. Denn beide haben sich ganz bewußt nicht nur auf die Architektur des Ausstellungsortes, sondern auch aufeinander eingestellt. So zeigt Schnabel in einem Raum ein vier Meter langes Objekt aus drei farbigen, auf Metallböcken liegenden Röhren, über das sein Malerkollege ein ebenso langes, schmales Diptychon mit einem gemalten Rohr gehängt hat. Oder Schnabel baut ein japanisch anmutendes „Tor 3“ aus Stahlträgern in den Eingang, dem Lippick ein vier Meter hohes, säulenartiges Triptychon im Treppenhaus gegenüberhängt. In diesem Dialog der Künstler erscheint der Formalismus des Malers plötzlich als überraschend souverän gegenüber jeder auf Interpretationsfähigkeit beharrenden Position.

Wie alle bisherigen Ausstellungen im Medienhaus zeigt auch diese Jubiläumsschau keine ausgewiesen avantgardistischen oder arrivierten Positionen. Dennoch ist das Wechselspiel zwischen dem konzeptuellen Bastler Schnabel und dem emotionalen Ästheten Lippick für jeden, der die Brille des dogmatischen Kunstwissenschaftlers auch einmal abzulegen bereit ist, ein lohnendes Ereignis. Wie sagt doch Agenturchef und Ausstellungsmacher Detlev Hanke, befragt nach der Auswahl seiner Künstler? „Kunst ist schließlich auch Geschmackssache“. Eben.

Moritz Wecker

Thomas Lippick und Piet Schnabel, bis 11. Juni in der Galerie im Medienhaus, Schwachhauser Heerstraße 78, Mo. bis Do. 10-17 Uhr, Fr. 10-16 Uhr.

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