csd zu kommerziell? : Lang lebe der Homokarneval
Früher war alles besser, so der Tenor des gestrigen Resümees der taz zur CSD-Parade in Berlin: Vor vielen, vielen Jahren, da gab es nicht so viel schamlos zur Schau gestelltes Fleisch zu sehen. Damals standen noch politische Parolen im Vordergrund. Kommerziell sei es auch nicht gewesen. Mehr gruppendynamisch-politisch sozusagen. Ach, was geht einem diese nostalgische Wehmut auf die Nerven.
Kommentar von JAN FEDDERSEN
Denn in dieser Einschätzung liegen mehrere bewegungsfromme Lügen verborgen. Erstens hat es die explizit nonkommerzielle Schwulen-und-Lesben-Bewegung nie zu einer derartigen Mobilisierungskraft gebracht – für das ausschließlich politische Anliegen (antipatriarchal, antibürgerlich) gab es nie genug Resonanz. Zweitens ist die Homobewegung an und für sich eine politische, gerade weil ihre nur vordergründig unpolitische Substanz den Gewöhnungserfolg möglich machte.
Drittens hat erst die homosexuelle (selbstverständlich: kommerzielle) Infrastruktur zur Mobilisierung der Hunderttausende beigetragen. Die Aversion früherer Homobewegungsgenerationen der Szene gegenüber war schon immer verlogen – man politisierte im Homozentrum, suchte den Sex aber in den Darkrooms. Viertens, maoistisch argumentiert, ist es gut und nicht schlecht, einen Bürgermeister zu haben, der sich souverän die Anliegen des CSD zu Eigen macht: Schwul und lesbisch zu sein ist ganz normal. Fünftens wurde niemand gezwungen, zur Musik der vielen Tieflader zu tanzen. Politwägelchen standen nicht sehr hoch im Kurs. Na und?
Sechstens: Was ist eigentlich gegen einen Karneval von Menschen einzuwenden, deren Ahnen noch vor drei Jahrzehnten sich nicht trauten, auf der Straße gemeinsam das Leben zwischen Soll und Sünde zu feiern?
Jan Feddersen antwortet heute auf den Kommentar von Waltraud Schwab in der gestrigen taz