: Landeskasse droht neues Millionenloch
■ Bezirke rechnen bei Sozialausgaben mit ungeplanten Mehrausgaben von einer halben Milliarde Mark. Wenn im Herbst die Kassen in den Bezirken leer sind, muß der Senat einspringen
Die Bezirke sehen sich unerwarteten Steigerungen bei den sozialen Ausgaben gegenüber. Sie rechnen in diesem Jahr mit Mehrausgaben von einer halben Milliarde Mark, die nicht von den Bezirkshaushalten gedeckt sind.
Der Bezirk Wedding mußte in den ersten vier Monaten des Jahres mit 103,2 Millionen Mark 6,7 Prozent mehr für soziale Pflichtausgaben aufbringen als im gleichen Zeitraum des Vorjahres. Dazu gehören neben der Sozialhilfe die Unterbringung von Obdachlosen und Kriegsflüchtlingen sowie Pflegeleistungen. Bleibt es bei dieser Steigerungsrate, beträgt das Defizit am Jahresende 63 Millionen Mark, befürchtet Klaus Jendretzki, Referent von Bezirksbürgermeister Hans Nisblé (SPD). Da es sich um gesetzliche Pflichtleistungen handelt, haben die Bezirke kaum eine Möglichkeit, die Ausgaben zu steuern.
In Schöneberg wird ein Defizit von 24 Millionen Mark erwartet, Hellersdorf kalkuliert mit rund 20 Millionen Mark. In Wilmersdorf sind es mindestens vier Millionen Mark. Dort behilft man sich bereits damit, aus noch nicht ausgeschöpften Etatposten „umzubuchen“. Die Wilmersdorfer Sozialstadträtin Martina Schmiedhofer(Bündnis90/Grüne) schätzt, daß die Mehrzahl der Bezirke ihren Etat für soziale Pflichtleistungen im Herbst ausgegeben haben wird.
Die Ursachen für die drohende Haushaltskrise sind nur zum Teil die unerwartete Zunahme der Zahl der Sozialhilfeempfängern. Zum Teil liegt es auch an unrealistischen Sparvorgaben der Landesregierung. So hatte der Senat pauschal ein Drittel der gesetzlichen Sozialausgaben für „beeinflußbar“ erklärt. Die Bezirke sollten damit gezwungen werden, bei den Pflichtleistungen zu kürzen - obwohl klar war, daß dies kaum realisierbar ist.
Im Landeshaushalt sind für dieses Jahr 140 Millionen Mark eingeplant, um bezirkliche Mehrausgaben bei den Sozialausgaben auszugleichen. Aus dem Topf müssen aber bereits die Mehrkosten für die BVG-Sozialkarte gezahlt werden, deren Abschaffung in der vergangenen Woche nach Gesprächen zwischen Senat, Bezirken und BVG rückgängig gemacht wurde. Diese Mehrkosten belaufen sich auf rund 23 Millionen Mark. Damit bleiben von der Senatsreserve im Schnitt für jeden der 23 Bezirke nur fünf Millionen Mark übrig.
„Der Finanzverwaltung sind die Zahlen im Mai mitgeteilt worden, aber man rennt sehenden Auges in die Finanzkatastrophe“, kritisiert der Hellersdorfer Bezirksbürgermeister Uwe Klett (PDS). „Die Probleme sind bekannt“, bestätigt Marianne Lamprecht, Sprecherin der Finanzsenatorin und verspricht: „Wir lassen die Bezirke nicht im Stich.“ Man müsse haushaltstechnisch einen Weg finden, um diesen Mehrbedarf abzufedern. Woher die Finanzsenatorin das Geld nehmen will, dazu wollte man sich beim Finanzsenat gestern nicht äußern. Dorothee Winden
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen