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Archiv-Artikel

Land der vielen Briegels

Morgen trifft Albanien mit seinem Nationaltrainer Hans-Peter Briegel in der Qualifikationzur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 auf Otto Rehhagel und seine griechischen Europameister

AUS TIRANA TOBIAS SCHÄCHTER

Dem Besucher aus Albanien hat’s geschmeckt: geräucherte Ballotine vom Pfälzer Täubchen mit Morcheln, serviert in der „Krone“. Hierhin lädt Hans-Peter Briegel, der Nationaltrainer Albaniens, die Fußball-Funktionäre des Balkanlandes gerne ein. Von den Wänden lachen bekannte Pfälzer: Kurt Beck, Helmut Kohl, und auch Briegel selbst, die gewesene Walz von der Pfalz. Gerne erzählt das FCK-Idol das Ende der Geschichte nicht, aber sie gehört zum Leben und zum Fußball in Albanien dazu. Der Gast, Präsident eines Erstligisten, wurde zwei Wochen später tot aufgefunden. Erschossen in einem Lokal in Mazedonien.

Tirana, Albanien. Die Mercedes-Dichte ist so hoch wie in Stuttgart. Die Wagen brettern durch unzählige Schlaglöcher vorbei an Bauruinen und Autowracks. Nebenan: proppenvolle, moderne Cafés, wie sie auch in Berlin oder Rom zu finden sind. Vor dem 14-stöckigen Luxus-Hotel „Tirana International“ schlafen Kinder auf Pappdeckeln. Achtjährige, die Zigaretten verkaufen, schlagen sich. Das offizielle Durchschnittseinkommen beträgt geschätzte 1.800 Dollar im Jahr. Jeder Zweite im 3,1-Millionen-Einwohner-Land soll keine Arbeit haben. Eher mehr, so genau weiß man das nicht.

Aber die Menschen, fast 50 Jahre von der „Partei der Arbeit“ des Stalinisten Enver Hoxha weggesperrt, sind neugierig auf das Leben. 14 Jahre nach dem Umbruch flanieren die Mädchen grell geschminkt und kurz berockt durch die Hauptstadt. Die Jungen in den Del-Piero- und Vieri-Trikots träumen davon, den Schönheiten eine Zukunft zu bieten, wie es die Fußballer des Landes ihren Auserwählten ermöglichen. Langfristig in die EU will das Land, dem Schattenwirtschaft und mafiöse Strukturen nachgesagt werden, zu den Fleischtöpfen Europas, an denen seine Kicker längst angekommen sind.

Am Wochenende beginnen die Qualifikationsspiele für die WM 2006, und für die in die Jahre gekommene Generation der Skelas, Lalas, Tares, Canas und Rraklis ist es die letzte Chance, erstmals an einem Großturnier teilzunehmen. Neben der Türkei, Kasachstan, Dänemark und der Ukraine treffen die heimstarken Albaner in Gruppe 2 auf Otto Rehhagels stolze Europameister aus Griechenland, zum ersten Mal morgen in Tirana.

Die Erwartungen sind gestiegen nach dem Aufwärtstrend unter der Leitung Briegels. Doch der Trainer betont: „Fallen drei Stammspieler aus, haben wir ein Problem.“ Es mangelt an Konstanz und adäquatem Nachwuchs. Rivalisierende Privatisierungs-Profiteure regieren die zehn Erstliga-Klubs und halten sich drittklassige Brasilianer und Afrikaner. Um die Jungen zu fördern, reist Briegel deshalb alle zwei Wochen aus seinem Wohnort Germersheim mit seinem Co-Trainer Axel Roos ins Land der Skipetaren und trainiert vier Tage lang die Talente. Mit dem Geld der Fifa entstand in den Bergen über Tirana ein modernes Trainingszentrum. Der Vertrag Briegels läuft bis 2006. Verbandsboss Armand Duka, ein einflussreicher Multi-Unternehmer, lasse ihm freie Hand, aber der 48-Jährige ist nach seinen Erfahrungen in der Türkei vorsichtig geworden: „Was passiert, wenn ich dreimal verliere?“

Durrës, albanische Adria. Täglich reportieren rund 60 Journalisten aus dem Quartier der Nationalmannschaft. „Briegel gegen Rehhagel“. Die gepflegte Männerfeindschaft der beiden deutschen Trainer bestimmt die Berichterstattung. Aber noch mehr aus politischen Gründen liegt in diesem Duell Brisanz. Schätzungsweise 500.000 Albaner verdienen als Saisonarbeiter in Hellas das Geld, das es in ihrem Land nicht gibt. Immer wieder kommt es zu diplomatischen Verwicklungen. „Die Albaner projizieren ihre Hoffnungen in die Erfolge der Fußballer. Sonst haben sie ja nicht viel“, sagt Vaso Bakallbashi, Redakteur des Sport Ekspres. Hier am strahlend blauen Meer nimmt Briegel einen tiefen Zug aus seiner HB und wirkt ziemlich entspannt. Anfangs kritisch beäugt, verschaffte sich der nach dem ungeliebten Italiener Giuseppe Dossena zweite ausländische Nationaltrainer schnell Respekt. „Er impfte der Mannschaft und den Verbandstrainern hier Disziplin ein“, sagt Bakallbashi.

Ministerpräsident Fatos Nano hat sich angesagt. Er wird an die „Ehre“ der Spieler appellieren. Und an mehr. Vor laufenden Fernsehkameras verspricht Nano der Mannschaft schon mal 150.000 Euro aus der Staatskasse. Zuletzt sah sich die Regierung Demonstrationen der bettelarmen Bevölkerung ausgesetzt, weil sie die Preise für Strom, Wasser und Telefon erhöhte.

Briegel wechselt schnell das Thema. Neulich traf er in Tirana einen fünfjährigen Jungen. Der heißt Briegel – mit Vornamen. Der Vater hatte dem Opa am Sterbebett versprochen, den Enkel nach dem berühmten Fußballer aus Deutschland zu benennen. Vaso Bakallbashi erzählt die rührige Geschichte zu Ende, so, wie sie in albanischen Zeitungen zu lesen war. Seit dem Sieg gegen Russland beim Einstand des neuen Trainers vor zwei Jahren ist der Junge aus Tirana mit dem seltsamen Vornamen nicht mehr allein. „In Albanien gibt es viele kleine Briegels“, sagt Vaso Bakallbashi und lacht laut.