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Lafontaine und die Zeichen der Zeit

Was Oskar Lafontaine seiner Partei in diesen Wochen ins Stammbuch schreibt, reicht weit, viel weiter, als die parteiinterne Diskussion vermuten läßt. Lafontaine rüttelt an den Glaubenssätzen sozialdemokratischer Politik, wenn er schreibt, daß „eine platt formulierte Vollbeschäftigungspolitik absolut unzeitgemäß“, nicht mehr „durchzuhalten ist“, und daß die SPD sich Ende der siebziger Jahre „in den Strickmustern ihres überkommenen sozialstaatlichen Wachstumsmodells verfangen“ und die Zeichen der Zeit nicht erkannt habe*. Dabei unterstellt Lafontaine für die Zukunft - es klar auszusprechen, wagt er nicht -, daß auch eine SPD–geführte Bundesregierung mit der klassischen Vollbeschäftigungspolitik die Arbeitslosigkeit nicht nachhaltig reduzieren könnte. Die Schlußfolgerungen des Vordenkers sehen so aus: Zum ersten müsse eine „soziale Grundsicherung“ für diejenigen geschaffen werden, die nicht im Erwerbsleben stehen. Zweitens müsse die gewerbliche Arbeit radikal umverteilt werden. Zum dritten fordert der Saarländer eine „Neudefinition der Arbeit“ und eine gleichberechtigte Aufteilung der „Familienarbeit“ im Interesse der Frauen. Wenn auch in den bisher vorveröffentlichten Teilen seines Buches vieles nebulös bleibt - vor allem mangelt es an konkreten politischen Instrumenten zur Erreichung der „konkreten Utopie“ -, so können die aktuell arbeitslosen Menschen von einer radikalen Arbeitsumverteilung und der „Grundsicherung“ noch am ehesten eine Verbesserung erwarten. Daß darüber der AFA–Kongreß kaum diskutiert hat, um statt dessen die Lohnverzichtsthese und den Zeitpunkt der Äußerungen zu geißeln, hängt wohl auch damit zusammen, daß der Großteil der Kongreßteilnehmer in gesicherten Beschäftigungsverhältnissen lebt - zumeist im Öffentlichen Dienst und in Großbetrieben. D Diskussion zu verlassen. * Die Gesellschaft der Zukunft. Hoffmann und Campe, 267 Seiten, 36 Mark.

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