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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE Bomben oder nicht bomben

POLITIK MIT ANDEREN MITTELN Hat das syrische Regime Giftgas eingesetzt? Muss „der Westen“ eingreifen? Die Debatten sind erhitzt, Regierungen unentschieden. „The British aren’t coming!“ titelt die New Yorker „Daily News“. Die große Mehrheit der taz-LeserInnen freut’s

Schon vergessen?

■ betr.: „Option Angriff“, taz vom 27. 8. 13

Die USA werden ihre selbstherrliche Rolle des für das „Gute“ kämpfenden Revolverhelden nicht aufgeben, solange noch ein leinwandglorifizierter Ausritt in den blutroten Sonnenuntergang die christlich-kapitalistische Anhängerschaft beglückt.

Der Irak wird für Generationen zum Alptraum werden wegen atomarer Waffen, die nie entdeckt und nie vorhanden waren. Syrien wird der nächste Alptraum werden für seine jetzt schon geschundenen Kinder. Es wird wohl nie geklärt werden, wer den Finger am Abzug der Chemiegranaten hatte. Die Bilder, die uns erreichen, lassen mich aufschreien vor Schmerz und erinnern mich an brennende Kinder in Vietnam, die dem US-amerikanischen Napalm-„Segen“ zum Opfer fielen. Schon vergessen?

Erinnert euch, Obama, Kerry, Cameron! Handelt und denkt als Väter und nicht als Kreuzzügler in anachronistischer Mission!

JOS DOERES, Mülheim

Fragen stellen

■ betr.: „Option Angriff“, taz vom 27. 8. 13

Wo bleibt euer kritischer Geist. Assad kennt keine Skrupel, um an der Macht zu bleiben, das ist klar. Aber gerade deswegen wird er nicht, zwei Tage nachdem UN-Inspekteure eingetroffen sind, einen eindeutigen Einsatz von Giftgas befehlen. Sollte man nicht eher fragen: Wer hat ein Interesse daran, dass es so aussieht? Ich warte schon auf Hilfe für die Rebellen, als diese in der Mehrheit noch eine freiheitliche Gesinnung hatten, aber heiligt der richtige Zweck alle Mittel, auch die Lüge? Ist das der Grund, weswegen alle ernstzunehmenden Medien keinerlei Zweifel aufkommen lassen? Jedenfalls würde durch gefälschte Beweise die Legitimation des Westens nicht besser. PETER DOMINIK, Berlin

Der reine Hohn

■ betr.: „Besonnenheit ist keine Schwäche“, taz vom 27. 8. 13

Es widert mich an zu erleben, wie westliche Politiker, allen voran US-Präsident Obama, einen Militärschlag gegen das syrische Regime herbeireden. Dabei ist zu diesem Zeitpunkt (Dienstagmorgen) noch nicht einmal erwiesen, dass der syrische Diktator Assad für den Tod jener Menschen verantwortlich ist, die vergangene Woche in seinem Land starben. Hier wird locker vorverurteilt, aber das ist bei Obama ja nichts Neues, der ja auch mit Drohnen auf mutmaßliche Terroristen feuern lässt, ohne Gerichtsverfahren, ohne Anhörung, entgegen dem Völkerrecht. Es wundert mich daher nicht, wenn er auch gegen Syrien einen Anschlag ohne UN-Mandat ausführen würde. Und dieser Mann ist Friedensnobelpreisträger! Der reinste Hohn!

Natürlich macht es mich betroffen, wenn in Syrien Erwachsene und Kinder getötet werden. Aber mich macht es auch betroffen, dass jeden Tag bis zu hunderttausend Menschen verhungern. Ihnen will leider niemand von jenen, die jetzt von einem Militärschlag tönen, wirklich helfen.

JOACHIM FISCHER, Bremen

Überheblich

■ betr.: „Syriens Zukunft in einer vernünftigen Welt“, taz vom 27. 8. 13

Die Kriegstreiberei des Micha Brumlik finde ich schwer erträglich. Wie kann er so überheblich an die Macht des Militärs glauben, in Syrien einen völligen Waffenstillstand erzwingen zu können? Noch bevor der zehnte deutsche Polizist von Heckenschützen erschossen sein würde, wäre die Forderung nach Bombardierung ganzer Stadtviertel durch die Nato – oder nach dem bedingungslosen Rückzug aller deutschen Polizisten – nicht mehr zu übertönen.

Ich hätte einem Professor eher die rationale Einsicht zugetraut, dass jeder militärische Eingriff in einen Krieg zur Kriegspartei werden lässt, mit allen Folgen. Dieser Überblick fehlt Micha Brumlik – bis hin zu seinem abschließenden Bibelzitat: Hätte er den Abschnitt aus Amos 1 + 2 zu Ende gelesen, hätte er bemerkt, dass Amos Damaskus und anderen Hauptstädten Zerstörung ankündigt, um letztlich die Katastrophe des eigenen Landes zu begründen.

BERTHOLD KEUNECKE, Herford

Miteinander reden

■ betr.: „Kriegslüstern oder verantwortungslos“, taz vom 28. 8. 13

Solche Konflikte, das muss inzwischen jeder wissen, können nicht mit einem „Militärschlag“, mit einer kurzen Aktion gelöst werden.

Wann wird endlich Lobbyismus – vor allem der Waffenindustrie – verboten und geahndet? Natürlich ist das ein weltweites Problem: nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA, in Russland und China. Aber repräsentieren Politiker, die von den Wählern eingesetzt wurden, nach der Beeinflussung durch Lobbyisten noch den Willen der Wähler? Das Argument, demokratische Strukturen verbreiten zu wollen, greift dann nicht mehr. Nach Berichten über die Verschwendung von Steuergeldern im Verteidigungshaushalt muss doch angemahnt werden, im Parlament, in der Regierung darüber nachzudenken, wie die Konflikte der Zukunft vermieden werden können. Das ist doch der Wille des Volkes. Anders als über Diplomatie, das Miteinanderreden – da haben sie völlig Recht, Herr Pickert – geht das nicht.

Nur über Gespräche mit den Machthabern in Syrien, in Russland in China werden Lösungen gefunden. Diplomaten für den Frieden! Die UN-Charta muss so umgeschrieben werden, dass sie effektiv ist: Für den Erhalt unseres Planeten, globale Menschenrechte, Freiheit des Anderen und Toleranz.

NORBERT VOSS, Berlin

Drohender „Kollateralschaden“

■ betr.: taz-Berichte und taz-Kommentare zu Syrien

Sicher ist nicht einmal, dass Assad Giftgas selbst eingesetzt hat. In der Gemengelage zwischen saudischen, türkischen, kurdischen, israelischen, iranischen, russischen und westlichen Interessen und Unterstützungen sind eine Reihe von Lügen und Inszenierungen denkbar. Es ist nicht sicher, dass durch Reaktionen diese Eskalation auf die gesamte Region übergreift. Es ist darüber hinaus nicht sicher, dass der Westen dadurch nicht gerade die terroristischen Kräfte unterstützt, die er in erfolg- und sinnlosen Kriegen im Irak und Afghanistan gerade bekämpft (und „nebenbei“ als „Kollateralschaden“ Hunderttausende Menschen umgebracht und radikalisiert hat). Was ist sicher bei dieser „Strafaktion“ gegen Assad? Assad ist ein skrupelloser Diktator, wie viele andere Akteure dieser Region auch. Aber: Eine Unmenge von Menschen würden durch diese Strafaktion zusätzlich sterben und zu Krüppeln und Waisen werden. Eine einseitige „Strafaktion“ ist nicht nur selbst völkerrechtswidrig und kriminell, sondern schwächt die UN. Eine Aussicht auf Frieden, bei der die Interessen aller ernst zu nehmen sind, wäre weiter entfernt als heute. KLAUS LENNARTZ, Aachen

Wer liefert das Giftgas?

■ betr.: taz-Berichte und taz-Kommentare zu Syrien

Bei der Frage nach den angemessenen Konsequenzen des Giftgas-Einsatzes in Syrien sollte man nicht nur untersuchen, wer das todbringende Gas eingesetzt hat, sondern wer es produziert und vertreibt und den Einsatz unterstützt. Im 1. Golf-Krieg in den 80er Jahren gab es von 1983 bis 1988 5.765 Tote und 42.931 Verletzte nach Chemiewaffenangriffen des Irak. Woher stammte das Giftgas? „Der Irak wurde seit 1975 mit Lieferung von technischem Gerät und Know-how von fünfzig internationalen Firmen, darunter 24 aus den USA, versorgt, die das ganze Spektrum von atomaren, biologischen und chemischen Kampfstoffen sowie Raketentechnologie umfasste“, heißt es bei Wikipedia.

In der Online-Ausgabe von derStandard.at lautet eine Schlagzeile vom 27. 8. 2013: „Iran-Irak-Krieg: USA unterstützten Saddam bei Giftgasangriffen“. Ähnliches berichtet blick.ch. Hat sich etwas Wesentliches geändert in der amerikanischen Nahostpolitik von Reagan zu Obama? Auch nach der Wirksamkeit von alten UN-Resolutionen könnte man fragen: „Das State Department war darauf bedacht, bei der Frage nach dem Einsatz von Giftgas gegenüber der irakischen Regierung das richtige ‚Timing‘ zu erwischen, um die bilateralen Beziehungen nicht zu gefährden. UN-Resolution 582 vom 24. Februar 1986 stellte erstmals den Einsatz von Giftgas fest und ermahnt beide Konfliktparteien (Iran und Irak) sich an das Genfer Protokoll zu halten. Die UN-Resolution 612 vom 9. Mai 1988 erwartet, dass beide Parteien in Zukunft auf den Einsatz chemischer Waffen verzichten.“ (Wikipedia) MARLIES BEITZ, Stuttgart

Hohler Antiamerikanismus

■ betr.: „UN-Inspekteure gehen am Samstag“, taz.de vom 29. 8. 13

Der entscheidende Punkt ist, dass Baschar al-Assad auf Druck reagiert hat und das UN-Team Untersuchungen anstellen kann. Im Mittelpunkt der internationalen Bemühungen müssen diplomatische Lösungen stehen, aber ohne Druck auf Assad wären sie nutzlos.

Ein großes Problem, was sich in dieser Krise wieder zeigt, ist die Struktur der Vereinten Nationen, die nicht mehr in die Welt des 21. Jahrhunderts passen. Es kann nicht sein, dass die Welt hilflos zuschauen muss, wie ein Diktator Massenvernichtungswaffen gegen sein Volk einsetzt, und der Sicherheitsrat kann nicht einmal eine Resolution verabschieden, weil er von seiner Struktur her im Kalten Krieg feststeckt.

In Bezug auf Großbritannien ist es absolut positiv, wie gut an dieser Stelle die Kontrolle der Regierung durch das Parlament funktioniert. Die Labour Party hat die richtigen Zugeständnisse „erzwungen“, während Premierminister Cameron wieder mal vorgeprescht ist, ohne die Situation zu durchdenken. Nach dem, was man liest, würde eine militärische Intervention keine nachhaltige Lösung der Krise bringen. Aber es ist auch Quatsch, so zu tun, als ginge es darum, einen Krieg zu beginnen. In Syrien herrscht seit über zwei Jahren Krieg, und Tausende sind tot. Aus ideologischen Gründen und einem hohlen Antiamerikanismus heraus einem solchen Regime die Stange zu halten, ist keine heldenhafte Einstellung. Sören, taz.de