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Archiv-Artikel

LESERINNENBRIEFE

Intelligent ist jedes Kind

■ betr.: „Intelligenz wird überbewertet“, taz vom 9. 10. 10

Intelligent ist jedes Kind. Nur sind die Gebiete der jeweiligen Intelligenz doch sehr verschieden verteilt. Es gibt beispielsweise praktische Intelligenz, theoretische Intelligenz, intuitive Intelligenz, soziale Intelligenz und je nach Alter noch einige Intelligenzarten mehr. Selbst ein behindertes Kind kann intelligent sein – wenn auch in der Regel einseitig. Notengebung kann ganz allgemein die Lernmotivation zerstören. Zudem untergräbt sie auch das Vertrauen in die Lehrkraft – man fühlt sich je nach Note mehr oder weniger geliebt. Auch in den Elternhäusern werden Noten oft überbewertet. Dabei gibt es Schulen, wie die Waldorfschulen und andere Freie Schulen, die in den ersten Schuljahren komplett ohne Noten auskommen. Dort lernen die Kinder aber nicht weniger, sondern eher mehr, als an staatlichen Schulen. Der frühe Selektionszwang in den Grundschulen untergräbt bei vielen Kindern das notwendige Selbstvertrauen, um sich etwa später noch steigern zu können. Kinder sind auch in unterschiedlichem Maße entwickelt. Es gibt die altklugen (frühreifen) Kinder ebenso wie die naiven Spätentwickler. Starre Notensysteme werden der Individualität des Kindes in der Regel nicht gerecht.

MICHAEL HEINEN-ANDERS, Köln

Opfer werden zu Tätern deklariert

■ betr.: „Neofeudaler Elitedünkel“, taz vom 7. 10. 10

Dem Luhmann’schen Credo verpflichtet – der Diskreditierung offizieller Fassaden, herrschender Moral und Selbstüberzeugungen – muss ich den Beitrag von Rainer Kreuzer als konzeptionell verfehlt kritisieren. Einmal ist die historische Reichweite zu kurz. Wer die Gesinnungslage im Topos der „Agenda 2010“ fassen will, muss bis zur Sklaverei der Antike zurückgehen. Es braucht nicht viel Bösartigkeit und Fantasie, um sich vorzustellen, mit welch wohlfeiler Rationalisierung Teile des Establishments ein motivierendes Züchtigungsrecht am Arbeitsplatz propagieren würden – wenn sie sie sich trauten. Statt Kündigung wegen unerlaubten Bulettenverzehrs zehn Peitschenhiebe auf die nackten Fußsohlen. Bestimmt würden besinnungslose Geister das besser finden, als gleich zu entlassen. Die Gegenüberstellung von Menschenbildern (ein fürchterlicher Begriff!) – aufgeklärt / feudal – führt am Thema vorbei. Die Gesellschaft kann gegenüber der Babyboomer-Knappheitsgeneration seit 30 Jahren ihre Versprechungen nicht mehr erfüllen. Das Arbeitslosenproblem erweist sich als unlösbar – man kann nur darüber reden, und dieses Reden dient der Systemsicherung nach allgemeinem Muster: Die Opfer werden zu Tätern deklariert oder im Duktus der Systemtheorie: externalisiert. Das hat auch die SPD so gesehen – solange sie in der Opposition war. Das Problem ist nicht das Problem, sondern die Verlogenheit, mit der es unsichtbar gehalten werden soll. Ich bedaure, dass auch die Teile der Presse, die sich selbst für kritisch halten, nicht in der Lage sind dagegen zu halten. Ich warte noch immer auf eine große Aufklärungskampagne über Massenarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsverhältnisse unter Akademikern und die erst in diesem Kontext richtig skandalös freche Propagandalüge vom „Fachkräftemangel“. Dass die schreibende Zunft hier versagt und lieber über „Menschenbilder“ schwadroniert, ist indes kein Wunder. Sie ist selbst umfänglich davon betroffen und scheut deshalb eine Auseinandersetzung, in der die eigenen Existenzängste immer präsent wären. KLAUS BECKER, Bergisch Gladbach

Ein Machtinstrument

■ betr.. „Neofeudaler Elitedünkel“, taz vom 7. 10. 10

Was ich von Rainer Kreuzer bisher gelesen habe, ist eine Analyse und Bewertung, die dringend notwendig ist. Endlich mal jemand, der dieses neoliberale Glaubensdogma kritisiert und zugleich den Verrat an dem Menschenbild der Aufklärung deutlich macht! Der auch zeigt, dass das neoliberale „Naturgesetz“ ein Machtinstrument ist, das die Eliten zu ihrem eigenen Schutz niemals rational bedenken wollen. Freue mich schon auf den nächsten Artikel!

ANNETTE BURKHART, Emmendingen

Arbeiten ohne Widerworte

■ betr.: „Neofeudaler Elitedünkel“, taz vom 7. 10. 10

Ich bin Student. Während des Studiums lerne ich hauptsächlich mir Daten und Fakten einzutrichtern. Ich bin noch im Altstudiengang Diplom. Nicht mein Interesse an der Sache wird gefördert, sondern schlichtes Reinballern, um es eine Woche später aus meinem Gehirn wieder zu löschen. Pädagogisch-neofeudaler Unidünkel! Hauptsache ich darf mich nachher Diplomer nennen. Ich weiß noch nicht genau, welchen beruflichen Weg ich gehen möchte. Bisher habe ich noch keine Tätigkeit gefunden, die mich derart fasziniert, dass ich damit einen Drittel meines Tages verbringen möchte. Hartz-IV- oder anderer Sozialbezug für Arbeitslose kommt für mich jedoch nicht in Frage. Aber ich habe da so eine nette Idee, falls ich wirklich nichts Aufregendes finden sollte: Ich arbeite auf Minijobbasis, wohne im Wohnwagen und gehe meiner Lieblingsbeschäftigungen nach: Lesen, Schreiben und Bewegen. Ist kostengünstig und erfüllt mich. Oder soll ich es doch lieber machen wie mein Vater? Aufstehen, Arbeiten, Aufräumen, Fernsehen, Schlafengehen. Aufstehen, Arbeiten, Aufräumen, Fernsehen, Schlafengehen. Nein, danke. Ich bin keine Maschine. Aber mein Papa ist dermaßen integriert in diesen Mechanismus, dass er es nicht einmal mehr selbst merkt. So will es die Arbeitswelt doch: Arbeiten ohne Widerworte. Und was kriegt man dafür? Schmerzensgeld. Ein abartiges System. Wenn da nur nicht diese finanzielle Abhängigkeit wäre … MICHAEL SENDER, Mainz