LESERINNENBRIEFE :
Ohne Entlohnung ausbeuten
■ betr.: „Unter Druck“, taz vom 7./8. 2. 15
Der Artikel war – gerade für mich als angehende Historikerin – in vielerlei Hinsicht beunruhigend, aber eine Verärgerung geht an einen Nachsatz und somit an Ihre Redaktion: „Stefanie Schmidt, Historikerin, war Praktikantin der taz. Seit Einführung des Mindestlohns wäre ihr dies nicht mehr möglich. Praktika dürfen nur die machen, deren Berufsausbildung noch nicht fertig ist.“ Vielleicht sollten Sie diesen Satz noch mal überdenken und wahrheitsgemäß anpassen: “… war Praktikantin der taz. Seit Einführung des Mindestlohns wäre ihr dies nicht mehr möglich, da wir PraktikantInnen nicht angemessen bezahlen möchten, sondern lieber weiter ohne Entlohnung ausbeuten.“ CHARLOTTE HOES, Berlin
Kein Eurocent mehr
■ betr.: „SPD fordert 10 Euro mehr Kindergeld“, taz vom 4. 2. 15
Frau Carola Reimann, SPD-Fraktionsvorsitzende, hätte also gern eine Erhöhung des Kindergeldes um 10 Euro, „damit die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinandergeht“.
Zunächst einmal begrüße ich sehr, dass sie sich eine geringere Differenz zwischen Arm und Reich wünscht. Doch eine Kindergelderhöhung ändert daran rein gar nichts. Denn: Alle Menschen, die in der Bundesrepublik für Kinder sorgen und Transferleistungen nach dem SGB II oder SGB XII beziehen, egal ob zu 100 Prozent oder als Aufstocker*innen mit einem ergänzenden Betrag, finden nach einer Erhöhung des Kindergeldes keinen einzigen Eurocent mehr in ihrer Geldbörse. Das will Frau Reimann nicht wissen? Schließlich ist die SPD bei der Einführung des SGB II federführend gewesen und hat mit dafür gesorgt, dass die Regelung, einen Betrag von 20 Euro des Kindergeldes für Sozialhilfeberechtigte anrechnungsfrei zu stellen, nicht auf die Sozialgesetzbuchabschnitte II und XII übertragen wurde. Für diese wahrhaft mickrigen 20 Euro haben viele Erwerbslosen- und Sozialhilfeinitiativen viele Jahre kämpfen müssen. Selbst dieser winzige Erfolg war mit einem Federstrich Geschichte.
EVELYN SCHUCKARDT, Oldenburg
Schutz oder Kontrolle?
■ betr.: „Demnächst nie mehr ohne“, taz vom 5. 2. 15
Da sieht man mal, was Kompromisse so für einen Mist produzieren können! Und Frau Schwesig meint auch noch, das wäre ein Erfolg!
Hier sollten doch mehrere Dinge auseinandergehalten werden: 1. Menschenhandel und „Zwangs-“Prostitution sind kriminelle Akte und müssen als solche behandelt werden. „Zwang“ kann im Falle von Sexarbeit aber nicht nur Menschenhandel bedeuten, sondern auch finanzielle Notlage, Verantwortung für Familienmitglieder, die auf Geld aus dem „Ausland“ angewiesen sind.
2. Sexarbeit ist nicht gleich Sexarbeit. Neben dem Straßenstrich gibt es Saunaclubs, Wohnungen, Hotels, an denen Sexarbeit stattfindet. Escorts werden über Internetplattformen vermittelt, die schwer zu kontrollieren sind. Wir sehen in der Öffentlichkeit vor allem den Straßenstrich, auf dem auch die verwundbarsten Frauen arbeiten.
3. Der Anteil der Sexarbeit, die nicht auf der Straße stattfindet, ist ungleich größer.
4. Sexarbeiterinnen sind noch mobiler als Saisonarbeiter, von denen wir wissen, dass die Kontrolle hier außerordentlich schwierig ist. Müssen sie sich dann in jedem neuen Ort wieder neu anmelden?
5. Wahrscheinlich kennt jeder und jede von uns (ohne dass wir es wissen) Frauen, die sexuelle Dienstleistungen gegen Geld anbieten; Kommilitoninnen, die nicht nur von BAföG leben wollen; Mütter, die damit das Studium ihrer Kinder finanzieren. Sollen diese alle jetzt sich als Sexarbeiterinnen anmelden?
Eine andere Frage wäre nach der Vertraulichkeit dieses „Melderegisters“. Nach der NSA-Erfahrung kann doch niemand mehr glauben, dass irgendetwas auch nur ansatzweise nicht öffentlich bleiben kann! Und die dritte Frage ist die nach dem vermeintlichen „Schutz“ der Frauen: Viele Sexarbeiterinnen kommen aus Osteuropa und sind nicht unbedingt legal in Deutschland. Was passiert, wenn diese einer Meldepflicht unterzogen werden? Sie sind noch stärker als vorher Missbrauch und Gewalt ausgeliefert, weil sie nicht mal mehr die ohnehin geringen Informations- und Unterstützungsangebote der Gesundheitsämter wahrnehmen können. Was passiert mit den Mitarbeiterinnen der Gesundheitsämter, die aufsuchende Arbeit machen und so dem Auftrag des Infektionsschutzgesetzes nachkommen? Werden sie verpflichtet, nicht gemeldete Sexarbeiterinnen dem Ordnungsamt zu melden? In Jahren aufgebautes Vertrauen würde damit zunichte gemacht.
Auf die lächerliche Bestimmung zur Kondompflicht will ich gar nicht eingehen. Sexarbeiterinnen und Männer, die sexuelle Dienstleistungen kaufen, haben ein Eigeninteresse an ihrer Gesundheit. Und sie haben Interesse an gesundheitlicher Beratung, wie auch Umfragen unter Sexarbeiterinnen gezeigt haben. Antidiskriminierung sieht anders aus! Breite gesundheitliche Information und Beratung, niederschwellige, nicht wertende, anonyme und kostenlose Sozial- und Gesundheitsdienstleistungen durch die öffentlichen Einrichtungen „mitten unter uns“. Das ist notwendig!
Sinnvoll ist die Kontrolle der Betreiber und der Einrichtungen, die Verpflichtung auf qualitative Mindestmaßstäbe im Hinblick auf Hygiene, Ruheräume, Pausen etc. Es sieht nicht so aus, als habe Frau Schwesig das Gesetz auch nur einmal mit den Berufsverbänden der Sexarbeiterinnen besprochen. Und ganz zuletzt die Genderfrage: Wird das Gesetz auch für männliche Sexarbeit gelten, oder sind Männer, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, nicht so „schutzbedürftig“ wie Frauen? Oder geht es darum, Formen weiblicher Sexualität zu kontrollieren? BARBARA KLOSS-QUIROGA, Berlin