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LDPD-Chef Gerlach kündigt Rücktritt an

■ Der erste Wendehals der Republik kündigt seinen Abgang als LDPD-Chef und die Kandidatur von Justizminister Wünsche an / Umstrukturierung der Parteispitze geplant /Zunehmende Distanz zur SED

Berlin (ap/taz) - DDR-Justizminister Kurt Wünsche soll neuer Vorsitzender der Liberal-Demokratischen Partei der DDR (LDPD) werden. Der derzeitige Parteichef Manfred Gerlach, der zugleich das Amt des Staatsratsvorsitzenden übernommen hat, berichtete in einem Interview des LDPD-Blattes 'Der Morgen‘, der politische Ausschuß des Parteizentralvorstandes werde dem bevorstehenden Parteitag einen entsprechenden Vorschlag unterbreiten. Wünsche habe sich in Jahrzehnten der Parteigeschichte nicht als willfähriger Mitmacher, sondern stets als kritischer Mitgestalter der Politik der DDR und der LDPD ausgewiesen, sagte Gerlach zur Begründung.

Gerlach, der unmittelbar vor der Wende einen neuen Kurs seiner Partei vertreten hatte, war zunehmend unter Druck seiner Parteibasis geraten, die ihm sein jahrelanges Stillhalten im Schatten der SED vorwarf. Noch am Dienstag hatte ein Kreisverband der LDPD dem politischen Ausschuß die Forderung der Basis nach sofortigem Rücktritt der alten Parteiführung übergeben.

Gerlach kündigte weiter an, die Partei werde künftig von einem ehrenamtlichen Vorsitzenden geführt werden. An die Stelle des politischen Ausschusses der Partei soll ein Präsidium treten, das sich im wesentlichen aus ehrenamtlichen Mitgliedern zusammensetzt. Dazu sollten außerdem unter anderen der Schatzmeister der Partei, der Vorsitzende der Volkskammerfraktion und die Minister der LDPD in der neuzubildenden Regierung gehören.

Parallel zur bevorstehenden Entmachtung von Parteichef Gerlach geht die LDPD zunehmend auf Distanz zur SED und pocht auf ihre Eigenständigkeit auch in der Regierung unter Ministerpräsident Hans Modrow. Die Liberaldemokraten betonten am Dienstag, daß sie in der gegenwärtigen Koalition nur mitwirkten, um ihrer Mitverantwortung in der gegenwärtigen Krise nachzukommen. Sie seien aber „keine Geiseln der von der SED-PDS geführten Regierung“, unterstrich die LDPD.

Der politische Ausschuß des LDPD-Vorstands beschloß laut 'adn‘ drei „Eckpunkte“ zur Position der Partei „in der gegenwärtigen schwierigen Phase des revolutionären Wandels“. Darin wird hervorgehoben, daß die Liberaldemokraten in der Regierungskoalition „allein aus Verantwortung für das Volkswohl“ wirkten, um das Land vor dem Verfall zu bewahren und freie Wahlen am 6.Mai zu ermöglichen. Die Fraktion in der Volkskammer werde „klipp und klar sagen: wir arbeiten mit, wenn die Bremsen für die Regierungsarbeit gelöst werden“, hieß es. Die Entscheidung liege bei der SED-PDS.

Die Führung der Liberaldemokraten äußerte Besorgnis, daß sich die SED-PDS dem Einigungsprozeß im Lande entgegenstelle, daß undemokratische Strukturen nicht verändert und sogar neu wieder hergestellt würden. Sie verwies auch auf zahlreiche Forderungen von Mitgliedern, nach der Wahl keiner Regierung beizutreten, der auch die SED -PDS angehöre.

Weiter sprach sich die Parteispitze für eine enge Zusammenarbeit mit der bundesdeutschen FDP im Wahlkampf aus. Auch die Ost-CDU will, so Parteisprecher Lück, auf Beratung und Hilfe der Westpartei zurückgreifen.

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