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LANGE HAARE - DICKE BÄUCHE

■ „Das Damen“ und „Angry Red Planet“ live im Ecstasy und Ex

Also: Für dieses Konzert habe ich mir extra lange Haare wachsen lassen, weil lange Haare zu haben heute wieder so wichtig geworden ist, wie es vor zehn Jahren wichtig war, sich die Haare möglichst kurz zu halten. Gerade für Konzertbesucher, die in der ersten Reihe stehen wollen, sich kräftig schütteln und die Haare nach vorn werfen, wie die Musiker auf der Bühne das auch tun, mit der Gitarre in der Hand in die Luft gehen und das eingeschraubte Solo mit den Haaren flattern lassen. (Headbanging, jawohl!) Man könnte sagen, daß die Haare zusammen mit den Gitarrensolis, wie sie im Punkrock wieder auftauchen, nachgewachsen sind. Das Damen haben die längsten.

Sie sehen aus wie diejenigen, die überall nur rumhängen und das pathetische Etwas, das da in der Luft hängt und Leben genannt wird, anzweifeln. Später aber werden sie uns zeigen, wovon wir alle immer geträumt haben, und zum großen Schlag ausholen, auf die Bühne klettern und das tun, was kaum einer fertigbringt: aufschreien, daß die Sonne aufgeht.

Die Musik ist so widerspenstig wie die Haare, die durch ruckartige Kopfbewegungen wieder und wieder die Sicht versperren und von neuem gebändigt werden müssen, wie die einzelnen Songs, die immer wieder auszubrechen drohen und niemals zu halten sind, dafür aber in eine neue andere Richtung gelenkt werden. Das greift mir mitten ins Herz! Wie hier die Sonne aufgeht, mit gewaltigem Spaß Töne entzündet werden, und Sänger und Gitarrist Jim Walters wie ein Feuerwerkskörper in die Luft jagt. Solche Musik können nur ganz junge Amerikaner bringen, an denen die Zeit nur so vorbeigerauscht ist, die vieles der alten Musik mit großer Begeisterung aufgefangen und dabei genau das herausgefiltert haben, was die Rockmusik am Leben hält.

Blues, Jazz, Rock'n'Roll, Hardcore-Punk, irgendwelche Stilrichtungen fließen immer ein, ohne daß man genau weiß, aus welcher Quelle das gerade kommt. Der Mainstream wird förmlich zerhackt, nie ist man vor Überraschungen sicher, oft verblüfft, mit welcher Leichtigkeit und Konsequenz andere Spielarten übernommen werden. Das kann man natürlich nur mit einer typisch amerikanischen Unbefangenheit erklären, die den New Yorker Jungs innewohnt und die sie auch sich „Elvis“ auf das Schweißband kritzeln und sich so komische Namen wie Ph. Ludwig Bundschuhe oder Ph. Amadeus Totenhosen zulegen läßt. (Auf einmal weiß man, woher der seltsame Bandname kommt.)

Oft wird die Band mit ihren großen SST-Label-Brüdern „Dinosaur Jr.“ und „Hüsker Dü“ verglichen, und gewisse Ähnlichkeiten sind auch nicht zu überhören, letztendlich machen sie aber doch ihr eigenes Ding, weil sie nicht wie ihre Kollegen an einem bestimmten Sound rumsägen, Gitarrengewitter und Byrds-Harmonien versprühen, sondern mit ihrem Klanggebilde immer wieder umfallen, um neue Ideen einzubauen. Fast wie die „Butthole Surfers“, hätten diese jemals an die Seele des Rock'n'Roll geglaubt.

Also weiter: „Little Pigs, Little Pigs“, die bisher einzige LP von Angry Red Planet aus Detroit, die einen Tag später im Ex spielten, zeigt als Gruppenfoto auf dem Cover die kopflose Band mit entblößten Bäuchen. Klarer Fall, was für Das Damen lange Haare sind, sind für diese Band dicke Bäuche. Keine hochgezüchteten zwar, wie z.B. die von „Blueberry Hellbellies“, dafür aber natürlich gewachsene.

Auch diese Burschen sehen aus wie Rumhänger. Was uns hier aber in der Gestalt von drei mittelalten Amerikanern entgegentritt, haben wir schon immer gewußt: Du mußt dein Bier aussaufen, damit das Leben weitergeht.

Die Musik ist Fun-Punk im allerbesten Sinne. Amerikanische Volksmusik in der Tradition der Minutemen und frühen Mead Puppets (also wieder SST-Bands; die LP von ARP ist aber beim deutschen Label Double-A-Records herausgekommen), mit enorm wichtigen Baßläufen, die den deftigen Nährboden der Musik bilden und immer zwischen Ufta -Ufta-Country- und Funkmelodien herumstolpern. Das Bassist ist das lebendige Abbild seines Schaffens (sieht ein wenig aus wie Polt), schneidet ständig Grimassen, schiebt seinen Bauch in den Raum und kobolzt gekonnt über die Bühne. Der Gitarrist glaubt an die Seele des Rock'n'Roll und spielt Punkrock mit all seinen köstlichen Feinheiten, die zu schnell-wilden Drei-Akkord-Attacken möglich sind.

Das greift mir wieder mitten ins Herz! Die Idee der Musik ist zwar roh und simpel, aber diesen Schweinkram haben sie eben drauf. Sie zweifeln nie, diese Burschen, legen einfach los und schreien in die Runde: „Everybody sing together now! Harmonize with us, if you know how!“ Es wird zum Tanz aufgespielt, und der fiese Pogo-Mob schlägt sich drum. Kein Rempler kann mich noch erschüttern. Ich sauf mein Bier aus und laß die Sonne aufgehen.

Volker Lüke

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