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Archiv-Artikel

Kuschelsozialisation ohne Zwang

betr.: „Kuscheln für Deutschland“, taz vom 18. 1. 04

Wenn ich an meinen eigenen Zivildienst zurückdenke oder auch an meinen Bekanntenkreis, hat Robin Alexander Recht: Ein guter Teil Sozialisation jenseits überkommener Männlichkeitsvorstellungen fand und findet im Zivildienst statt.

Aber trotzdem möchte ich die Schlussfolgerung nicht teilen, dass diese Sozialisation mit der endlich ins Auge gefassten Abschaffung der Pflichtdienste aufhören wird. Wer Zivi gemacht hat, hatte meist auch vorher schon einen Hang zum Alternativen. Die Chance, dass diese jungen Männer sich in Zukunft für ein freiwilliges soziales oder ökologisches Jahr entscheiden, ist gut. Samt Kuschelsozialisation. Aber ohne Zwang und ohne geschlechtsbezogene Diskriminierung. TILL WESTERMAYER, Freiburg

Männer haben schon lange keine Lust mehr auf den Dienst an der Waffe. Immer mehr Zivildienstleistende hat es die letzten Jahre gegeben. Und wir Frauen, wir wurden zwar widerwillig zum Beruf Soldat zugelassen, aber die Wehrpflicht und ihre Bedeutung sind geblieben: Männer sind stark, Frauen sind schwach. […] Ein paar Frauen als Zeitsoldatinnen? Das kann der deutsche Soldat mit knirschenden Zähnen ertragen. Die Hälfte der Wehrpflichtleistenden als Soldatinnen? Das wäre eine gravierende Veränderung gewesen, die in ihren Ausmaßen das ganze Wesen der Bundeswehr berührt hätte. Sie hätte die „Schule der Nation“ (wie sie laut Sigmar Gabriel nach militaristischer Tradition genannt wird) werden können. Bisher war sie nichts als die „Schule der Männer“. Aber wer würde von SPD-Politikern schon erwarten, dass sie Wörter wie „Nation“ oder „Männer“ auseinander halten können.

Dass ein paar Monate Dienst für die Gemeinschaft von jungen Männern und Frauen verlangt werden könne, geht Repnik plötzlich ganz leicht über die Lippen. War davon doch nichts zu hören, als es um die Wehrpflicht ging. Aber soziale Tätigkeiten sind ja wie geschaffen für die Frauen. Das soziale Pflichtjahr aller, als Ablösung für die Wehrpflicht für Männer, zeigt es doch jetzt ganz eindeutig: Man hat uns Frauen belogen, die Wehrpflicht war nie gerechter Ausgleich für unsere Schwangerschaften und die Karriere, die wir zugunsten der Familie geopfert haben. Sie sollte es auch nie sein. Die Wehrpflicht ausschließlich für den Mann hat ihm bis zum Schluss das Machtmonopol gesichert. […] CHRISTINA MUNDLOS, Kassel

betr.: „Zwangsdienst = Zwangsarbeit“, LeserInnenbriefe, taz vom 19. 1. 04, „Es geht auch ohne Zwang“, Kommentar von Ulrike Winkelmann, taz vom 20. 1. 04

Es erschreckt mich, wenn in einem der reichsten Staaten der Welt, der es dennoch nicht fertig bringt, genügend Mittel für die öffentlichen Aufgaben bereitzustellen, weil man lieber in unsinnigen Steuergeschenken wetteifert, stattdessen nach neuen Zwangsdiensten gerufen wird – natürlich aus den edelsten Gründen, weil es für die Dienstzuverpflichtenden wertvoll und entwicklungsfördernd sei.

Das mag in vielen Fällen zutreffen, aber es rechtfertigt keinen Zwangsdienst. Die Rechtsordnung des Grundgesetzes dient dem Zweck, die Freiheit und Selbstbestimmung jedes Einzelnen von uns zu schützen. Sie deckt keine noch so wohlgemeinte Erziehungsdiktatur. Gewiss arbeiten Zivis nicht hinter Stacheldraht. Aber ihnen wird befohlen, an einem bestimmten Ort gegen geringe Bezahlung eine bestimmte Arbeit zu verrichten, ob sie das wollen oder nicht. Wer sich weigert, wandert ins Gefängnis. Wenn das nicht Zwangsarbeit ist, dann weiß ich nicht, was das Wort bedeutet.

Der Vergleich mit der Schulpflicht führt in die Irre; denn die Schulpflicht gilt mit gutem Grund nur für Kinder und Jugendliche bis zum 16. Lebensjahr. Hier aber ist die Rede von erwachsenen Staatsbürgern, und zwar keineswegs nur von Abiturienten und Bürgersöhnchen, sondern auch von Leuten, die schon ein paar Jahre im Beruf stehen. Wenn der zwangsweise Dienst am Nächsten eine so überaus bereichernde Erfahrung ist, warum soll diese Wohltat dann nur den 18- bis 20-jährigen Männern zugute kommen? Warum nicht jeder und jedem? Ich bin nämlich fest überzeugt, dass alle, die da in den Leserbriefspalten der taz in so herzerwärmender Weise der Dienstpflicht das Wort reden, selbst längst außer Gefahr sind, ihr zum Opfer zu fallen (ich selbst bin 55, nebenbei bemerkt).

KLAUS BAILLY, Solingen

Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor. Die erscheinenden Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.