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Kurzes und Kürzestes

■ Norbert C.Kasers Prosa

Zehn Jahre nach Kasers Tod erschien im Innsbrucker „haymon„ -Verlag der Teil der literarischen Texte Kasers, den man als Prosa bezeichnen darf. Ein erster Band faßte die Gedichte, ein dritter und letzter Teil wird die Briefe Kasers dokumentieren.

Nobert Conrad Kaser ist 1947 in Norditalien geboren, im deutschsprachigen Brixen an der Eisack. Aufgewachsen ist er wenige Kilometer weiter in Bruneck an der Rienz. Schon früh begeisterte sich Kaser für die Literatur, vernachlässigte darüber völlig die Schule. So fiel er zweimal durchs Abitur. Nur mit Mühe gelang ihm schließlich ein dritter Versuch.

Kaser arbeitete bereits früh als Autowäscher und Porzellanverkäufer in Bruneck, später als Frühstücksmacher und Portier an der Küste von Genua, war Eisengießer bei den Pfalzwerken in Ludwigshafen, Novize in einem Kapuzinerkloster, Wegbauer an den Küstenhängen in Norwegen, Filmschauspieler in Apulien und Nordtunesien, viele Monate Mauteinnehmer an der Brennerautobahn, immer wieder Dorfschullehrer in abgelegenen Gebirgsdörfern und zuletzt Werbetexter für eine Hotel-Pension und Schreibgehilfe in einer Fahrschule. Dann starb er. Aber vorher schrieb er Gedichte.

In erster Linie war Kaser Lyriker. Diese Vorliebe für kleine literarische Formen verschaffte sich auch bei dem Verfasser von Kurzprosa Geltung. Die Texte zeichnen sich durch ihre prägnante Kürze aus. Manchmal sind sie nur einen Satz lang, die längsten Texte umfassen allenfalls einige Seiten. Und dennoch konnten für diese Werkausgabe annähernd 400 Seiten Prosa zusammengetragen werden.

Kasers Texte zeichnen sich durch ihre fast immer gleichbleibende Qualität aus. Ganz selten ein schwächerer Satz. Kaser war kein Journalist, kein Vielschreiber, er schrieb bedacht und bedächtig. Erstaunlich ist die Vielfalt der literarischen Formen. Von Glossen, Fabeln und Märchen reichen sie über Kurzgeschichten, Parabeln und der selten gepflegten Form der „Stadtstiche“ bis hin zu Traktaten und Texten, die nur aus ein paar Sätzen bestehen. Sparten wie Roman und Drama wurden hingegen von Kaser gemieden.

Kaser variiert auch höchst amüsant Motive aus der griechischen und christlichen Mythologie: Er erzählt von der heldenhaften Reinigung der völlig versauten Ställe des König Augias - bei Kaser ein köstlich gemütlicher Vielfraß - oder schmückt fein die verführerischen Fähigkeiten der Maria von Magdala aus, die auf ihre Weise den Freundeskreis des „Berufenen“ heillos zu verwirren vermag.

Zwischendurch wieder fast parabelhafte Geschichten wie die von dem säugenden Elefanten, der bis zu seinem 16.Geburtstag seine dicke Elefantenmutter wörtlich aussaugt und nach ihrem Tode zwar die tollsten und ausgefallensten Kunststücke beherrscht, aber den Wirrnissen des Lebens nicht gewachsen ist. Oder die lehrreichen, nicht minder aufregenden, immer nur eine Seite fassenden fabelhaften Erzählungen über kaiser max & kufstein, die koechin eines pfarrers oder Landschaftsbeschreibungen: „& unten die keusche ebene der bahnhof ein wuerfelchen die geleise zu einem faden geschmolzen“.

Kaser war Kommunist. Über die tieferen Beweggründe seiner Wandlung vom katholischen Kapuziner zum kommunistischen Kolumnisten läßt sich nur spekulieren, da Kaser fern von Theorie und abstraktem Studium sich nie in dieser Richtung geäußert hat. Ein Grund liegt sicherlich in seiner Biographie, die ihn sein Leben lang unmittelbar die Abhängigkeit und wirtschaftliche Not der norditalienischen Bevölkerungsmehrheit erleiden ließ. Das erleichterte ihm den Zugang zu den Kommunisten. Der kommunistische Dorfschullehrer hieß seine Schüler in den Schulbüchern Passagen, die ihnen nicht zusagten, quer durch- und ausstreichen. Das war ihm Unterricht. Er schrieb auch für seine Zöglinge neue Geschichten, wie beispielsweise „im wald hat einmal ein großer drachen gehaust. der brachte angst & schrecken in die gegend. seine augen waren groß wie pfannnen, aus seinem maul sprang feuer, das die kleinen baeume verbrannte... sein bauch ist gelb gewesen & 19 buben & 6 maedchen haetten leicht darauf ballspielen koennen.“

Ab Sommer 1977 bis zu seinem Tode schrieb Kaser regelmäßig bissige Kolumnen für die norditalienische Tageszeitung 'Alto Adige‘. Sein unermüdlicher Kampf gegen die sich in Schützenvereinen organisierenden südtiroler Patrioten und Revanchisten brachte ihm selbst dann ablehnende und boshafte Leserbriefe ein, wenn es um Hallenbäder oder um den Bau neuer Liftanlagen ging. Selbst ein zweimonatiger Kuraufenthalt des schwer Erkrankten in der DDR war seinen Gegnern Anlaß, ihn zu diffamieren. Die in diesem Buch veröffentlichten Glossen machen deutlich, wie sehr diese Kommentare zum literarischen Gesamtwerk Kasers gehören. Bis kurz vor seinem Tod schrieb Kaser unermüdlich und streng diszipliniert noch über siebzigmal seine literarischen Zeitungstexte.

Kaser war Trinker. Er trank die Demütigungen, die Unbillen des Alltags in sich hinein, steigerte kurzfristig seine Inspirationskraft, verkürzte sie aber langfristig. Der Alkohol machte Kaser als Schriftsteller nicht zu schaffen, aber seinem Körper. Der litt. Da blähte sich sein Bauch: Bauchwassersucht. Eine späte Auswirkung der „Grauen Schwestern zu Brixen“, die Kaser gestillt hatten?

Sich zu mokieren über die konsequente Kleinschreibung, die Negierung und die Vermeidung von Umlauten und das einfache Abbrechen des Satzes am Zeilenende ohne Trennungsstriche, hieße, sich der Mißachtung der stilistischen Fein- und Eigenheiten Kasers schuldig zu machen. Das ist vielleicht mitunter mühsam zu lesen. Aber die Bemühung zahlt sich vielfach aus.

Stephan Käppler

Norbert C.Kaser: Prosa. Gesammelte Werke - Band 2, Hrsg. Hans Haider, haymon-Verlag Innsbruck 1989, 470 Seiten, 62 DM.

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