: Kurden vergiftet „Testzone für den Irak“
■ Ausstellungseröffnung: Dokumentarfilm zum Giftgaseinsatz in Kurdistan
Der Brite Gwynne Roberts ist langjähriger Kriegsberichterstatter und Mitautor des Standardwerkes über Chemiewaffen „Der Kälteste Krieg“, das nach seinem Erscheinen vor acht Jahren von den Nachrichtendiensten komplett vom Markt gekauft wurde. Roberts hatte fast zwölf Wochen, nachdem der Irak mit einem Giftgasangriff das kurdische Dorf Halabdscha entvölkert hatte, im Auftrag einer britischen Fernsehgesellschaft das Kriegsgebiet bereist und nach Belegen des Giftgaseinsatzes gesucht, den der Irak geleugnet hatte. Seine Recherchen hat Roberts in dem Film „The winds of Death“ dokumentiert. Sie wurden international als Beweis für den Giftgasangriff anerkannt. Zur Eröffnung der Fotoausstellung „Die Flucht vor dem Giftgas“ (vgl. taz vom 19.5.) kam Roberts in die Bremer Angestelltenkammer.
taz: Weshalb und wie sind Sie 1988 in den Irak gereist?
Gwynne Roberts: Ich wollte Beweise sammeln, daß die Iraker tatsächlich chemische Waffen gegen die Kurden eingesetzt haben. Ich bin mit Guerillas in das Gebiet gegangen und habe auch tatsächlich ein Projektil gefunden. Ausgerüstet mit einer Gasmaske und Schutzanzug habe ich es mit einem Löffel ausgegraben und zusammen mit einigen Erdproben zurückgebracht.
Was passierte mit den Proben?
Die Proben wurden von zwei Labors untersucht: Von einem kommerziellen Labor in Birmingham, und dann vom chemischen Labor des Verteidigungsministeriums. Sie bewiesen ohne Zweifel , daß die Iraker Senfgas gegen die Kurden eingesetzt haben. Die Schilderungen eines jungen Guerilla von dem Bombardement, die ich Experten vorlegte, belegen das: Es roch nach verbrannten Zwiebeln. Über den Leichen der mindestens 3.000 Leichen lag ein Film. Aus ihren Nasen und Mundwinkeln kam ein scheußlicher Schleim. Die Haut schälte sich und schlug Blasen. Die Überlebenden in dem Gebiet husteten und rieben ihre Augen.
Neun Monate später bin ich mit einem britischen Arzt nach Mardin (Anm.: Das Lager dort, dicht an der syrischen Grenze, heißt Kiziltepe) gegangen, wo ganz plötzlich 2.000 Kurden erkrankt waren, innerhalb eines Tages, nach einem Abendessen.
Was haben Sie dort unternommen?
Wir haben heimlich Blutproben von den Kranken genommen und sind damit sehr schnell nach Istanbul und dann nach England zurück. Dort haben verschiedene Labors fieberhaft nach Giften gesucht. Zunächst hatten wir Balium (Rattengift) vermutet.
Welche Ergebnisse brachten die Analysen, und was passierte dann?
Zuerst fanden die Experten keine Spuren von Gift, so daß als Erklärung für die Krankheitsfälle eine Art Massenhysterie im Raum stand, an die ich aber nicht glauben wollte. Die Fernsehanstalten hatten inzwischen auch kein Interesse mehr an der Geschichte. Meine Frau und ich haben dann auf unsere Kosten vier weitere Labors involviert. Ganz zuletzt, in der letzten unserer Proben, ließen wir nach organo -phosphatischen Verbindungen suchen, das sind z.B. Pestizide aber auch Nervengas. Und dann wurde (im National Poison Institut, einem der besten der Welt) der Beweis gefunden, daß die Proben ganz eindeutig von einem sehr toxischen Nervenmittel vergiftet worden sind. Wir wissen nicht wie, wir wissen auch nicht die genaue Substanz.
Konnten die Krankheitssymptome keine Anhaltspunkte liefern?
Vermutlich war es eines der sehr flüchtigen Nervengase, weswegen die Menschen auch nicht gestorben sind. Sie hatten vor allen Dingen Zuckungen und Lähmungen bis hin zur Querschnittslähmung, ihre Pupillen waren stark vergrößert. Die Türken hatten unhygienisches Brot als Ursache angegeben. Natürlich hatten wir auch Brot untersucht. Aber darin war nichts zu finden.
Wie war die Resonanz auf Ihre Entdeckung?
Die Ergebnisse sind kaum veröffentlicht worden, in Deutschland nie. Es ist das erste Mal, daß außerhalb der Grenzen Iraks bekannt wurde, daß so etwas verwendet wird. Wir konnten es nicht fassen. Vier Ärzte haben einen Bericht in Lancett, einer sehr angesehenen medizinischen Zeitung, veröffentlicht, aber das Echo war gleich null.
Auch die politischen Reaktionen?
Ja, die Fernsehstationen haben nur kurz am Nachmittag berichtet, die Zeitungen nur in winzigen Meldungen, und auch die Regierungen schwiegen. England hat sogar seine Kredite an den Irak verdoppelt. Die Iraker haben, so meine ich, Kurdistan als Testzone benutzt. Z.B. Gascocktails aus Senfgas, Nervengas und Zyanid. Es ist erschreckend, was man da finden kann. Im Spiegel stand ja neulich, daß eine süddeutsche Firma biologische Waffen (Typhus und Cholera) an den Irak geliefert hat. Die Kurden haben z.B. in einer Liste mit dem, was sie im Irak erbeutet haben, die Lagerung von chemischen und biologischen Waffen erwähnt. In der Testzone Kurdistan sind auch Gasmasken ausgetestet worden. Angeblich haben sie dabei „Mask-Breaker“ entdeckt, Substanzen, die jede Gasmaske durchdringen können. Und wenn das wahr ist,...
(Interview: Birgitt Rambalski)
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