: Kunstmusik auf dem Bandoneon
■ Luis di Matteo gastierte in der Vegesacker Scala
Kultur hat's schwer in Vegesack, das doch so gerne eine kleine Großstadt für sich sein möchte. Nicht nur wegen der akuten Probleme mit den Anliegern der Scala (siehe Bericht auf dieser Seite), sondern auch, weil ein kulturell lange Zeit ziemlich brachliegender Stadtteil wohl sehr viel Zeit braucht, um zu registrieren, daß man jetzt nicht mehr unbedingt ins Zentrum fahren muß, um kulturell Hochwertiges zu goutieren. Luis di Matteo gehört nun gewiß zu den bekannteren Figuren seines Genres, und trotzdem verloren sich nur etwa 4O Zuhörer/Innen im schnörkellosen, industriemäßig gestylten Saal, in dem der kleine, in sich gekehrte Mann aus Uruguay fast etwas befremdlich wirkte. Unprätentiös kam er durch den Haupteingang, betrat die Bühne und spielte - ganz in sein Instrument und seine Musik versunken, die er am ganzen Abend nur ein einziges Mal für eine kurze Erläuterung unterbrach. Beide Sets begannen jeweils mit einem relativ melodischen Titel, aber sehr schnell wurde klar, daß hier keine süßlich-schwülstige Tango -Seligkeit zu erwarten war. Aufbauend auf den rhythmischen Elementen des Tango, der Milonga und Candombe-Rhythmen aus der Rio de la Plata-Region, pendelte di Matteo zwischen E -Musik und Jazz, zwischen neuer Musik und folkloristischen Mustern. Er arbeitet viel mit rhythmischen Brechungen, und wenn einmal melodiöser-eingängliche Teile zu hören waren, wurden diese im nächsten
Augenblick auch schon wieder durchbrochen: da wird dann auch schon mal Dissonantes hervorgezaubert, um Schwermütigkeit oder emotionale Zerrissenheit von Region, Menschen und Musik zu dokumentieren. Das ist eindeutig Kunstmusik, die mit den vorherrschenden Tango-Klischees nicht mehr viel gemein hat: kleine orchestrale Werke, die fast wie komprimierte Mini -Suiten wirken und sich nie lange an einem Thema oder Rhythmus-Muster aufhalten. Kein Wunder, hat doch di Matteo in den letzten Jahren häufig für Orchester oder
Filmproduktionen komponiert. In manchen Momenten hätte ich mir einen Kontrabaß, ein Piano oder ein weiteres Melodieinstrument als zusätzlichen Farbtupfer gewünscht. Aber dann wirkte dieser Mann, der auf einem ur-deutschen Instrument so gänzlich undeutsch zu spielen vermag, auch für sich wieder so überzeugend, daß diese Gedanken schnell verflogen. So sah es wohl auch die leider zu kleine Schar der Anwesenden, die dieser eher anstrengenden als oberflächlich-vergnüglichen Vorführung heftig applaudierte. JüS
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen