Kunstgewerbemuseum wird frisch: Frischer Wind im Labyrinth
Sabine Schulze ist dabei, das chaotische Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe komplett umzukrempeln. Zustatten kam ihr dabei eine lange geplante Sanierung - und ihr so progressiver wie selbstreflektiert-ökologischer Ansatz.
HAMBURG taz | Dieses Museum war immer schon etwas schwierig. Um nicht zu sagen: nervig, man kam meist verwirrt wieder heraus, dabei war man in bester Absicht hingegangen. Aber es war einfach zu viel und unsortiert, und man fühlte sich alleingelassen.
Die Rede ist vom Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, das sich nach einer Groß-Sanierung gerade komplett neu erfindet. Denn wie viele andere Museen ist es – trotz annehmbarer Besucherzahlen – in Rechtfertigungsnöte gekommen.
Das vielleicht auch deshalb, weil es zu einer schwer fassbaren Gattung zählt: Kunst und Gewerbe – das kann alles und nichts bedeuten, und daran krankt auch das Hamburger Haus. Denn das Museum residiert zwar optimal – in Sichtweite des Hauptbahnhofs – und hat ein repräsentatives Gebäude. Doch das war einst eine Schule mit vier Eingängen, gefühlten 30 Treppenaufgängen und genauso vielen Umgängen, die teils abrupt in Sackgassen endeten.
Diese Architektur konterkariert jedes vernünftige Leitsystem, da man nie weiß, aus welcher Richtung der Besucher gerade kommt. Zudem war die Anordnung der Exponate bis vor Kurzem sehr chaotisch: da konnten gern mal China, Ägypten, Expressionismus und Jugendstil unvermittelt aufeinander folgen.
Ein Grund für das Chaos liegt in der Sammlung selbst: Skulpturen aus Antike, Mittelalter und Expressionismus gibt es da, Bauhaus-Möbel und Plakate, Fotos, Porzellan, ganz Jugendstil-Zimmer, Tasteninstrumente – fast alles Schenkungen Hamburger Mäzene. Trotzdem hätte man während der vergangenen Dekaden dem Besucher wenigstens mal erklären können, warum das alles so ist. Aber die damaligen Direktoren taten es nicht; da musste erst Sabine Schulze vom Frankfurter Städel kommen, die 2008 antrat und jetzt die erste Abteilung der Dauerausstellung wieder eröffnet und neu gestaltet hat.
Schulze hat auch endlich Tafeln aufgehängt, die die verworrene Architektur- und Sammlungsgeschichte des Hauses erklären. Da ist zu lesen, dass Hamburgs Kunstgewerbemuseum 1877 eröffnet wurde. Gedacht war es – wie die anderen europäischen Kunstgewerbe-Museen auch – als Modell-Sammlung, die das heimische Handwerk inspirieren und so die Wirtschaft ankurbeln sollte. Töpfe, Körbe, Gebrauchsgegenstände aus aller Welt wurden angekauft, und Hamburgs Handwerker sollten die japanischen Körbe aus dem 19. Jahrhundert ruhig mit nach Hause nehmen, um sie nachzubauen.
Ein sehr praktisches Konzept; kein Wunder also, dass das Hamburger Museum „anfangs zu 80 Prozent Schule und nur zu 20 Prozent Museum war“, sagt Sabine Schulze. Nach und nach zogen die Kunstgewerbe-Schulen aus, und irgendwann war das Haus Museum geworden.
Dass im Falle Hamburgs zudem mehrere Direktoren gern Antikes sowie Insignien großbürgerlicher Pracht kauften – Meißner Porzellan zum Beispiel – passte zwar nicht in den Gebrauchskunst-Gedanken, wohl aber zu dem eines enzyklopädischen Museums; der Zwitter war perfekt.
Dieses Konglomerat hat Sabine Schulze also vorgefunden, und es wäre mangels Geld sicher noch eine Weile so geblieben – wenn nicht die lange vereinbarte Sanierung angestanden hätte. Das war Schulzes Chance. „Wenn man jedes Teil in die Hand nimmt, fragt man natürlich, ob das alles so sein muss“, sagt Schulze, die gern zugibt, dass das Haus bis dato eher groß- als „normalbürgerliche“ Kultur präsentierte und dass sie das anders balancieren möchte.
Sehr gezielt hat sie deshalb in den letzten Jahren mit Hilfe von Stiftungen Exponate angekauft, „die unsere Sammlung ergänzen und zusammenbinden“. Das Credo dabei: „Weniger ist mehr“, und vielleicht ist dieser Mut zum Ausmisten, ja: zum museumspolitischen Minimalismus eine Generationenfrage. Sabine Schulze hat es nicht mehr nötig, herzuzeigen, welche Massen das Haus besitzt und sich mit Schenkungen zu brüsten, wie es ihre Vorgänger gern taten. Schulze schätzt die großzügigen Hamburger Bürger, das sagt sie klar. Aber sie will auch fokussieren. Einen roten Faden ziehen. Die Unikate ins rechte Licht setzen, um Alleinstellungsmerkmale zu bilden.
Ihre Idee deshalb – und die der jungen Kuratoren, die in den vergangenen Monaten kamen: „Denkräume erschaffen“, wie es Claudia Banzer nennt. Sie ist eine dieser Kuratorinnen, und sie hat die Abteilung „Moderne“ neu gestaltet.
Wenn man sich dort umschaut, bemerkt man tatsächlich neue Querverbindungen. Nicht nur, dass das 20. Jahrhundert jetzt endlich in zusammenhängenden Räumen präsentiert wird. Auch die Kontraste etwa der 1920er Jahre sind scharf geschnitten: Hier die Schlichtheit der „Frankfurter Küche“, der ersten modernen Einbauküche. Gleich daneben ein Raum fürs Art déco. Hier das auf Serienproduktion ausgerichtete, schlichte Mobiliar des Bauhauses – dort der Pomp der französischen Oberschicht, präsentiert in einem lasziv rot gestrichenen Raum, in den Tagesbett, Paravent und ein Tisch aus Rochenhaut getupft sind.
Moment mal, Rochenhaut? „Ja“, sagt Schulze, „solche Exponate sind problematisch.“ Denn Schulze denkt nicht nur progressiv, sondern auch ökologisch. Das sieht man daran, dass sie derzeit eine Schau über Recycling-Design zeigt. Die Diskussion über den Umgang mit Material, sagt sie, „gehört zu unseren Kernaufgaben“.
Und da müsse man eben schon überlegen, wie man gewisse Exponate rechtfertige, die aus Elfenbein, Walross-Haaren oder eben Rochenhaut bestünden. „Man kann diese Dinge ja nicht ausblenden. Und wenn man an jedes Stück zweierlei Beschriftung anbringt – die historische und die zeitgemäß-ökologische – überfordert man den Besucher.“ Aber einen zusätzlichen ökologischen Parcours, der auf solche Stücke verweist und zugleich über Nachhaltigkeit informiert: Den könnte sie sich vorstellen. „Ein Museum muss sich etwas trauen“, findet Sabine Schulze.
Und das bedeutet für sie auch: Widersprüche zu formulieren. Nicht nur in Bezug auf die Jahrhundertwende, als Historismus, Massenproduktion und die Erfindung der Fotografie frontal aufeinandertrafen. Sondern auch in Bezug auf das eigene Tun. Schulze will nicht beim unpolitischen „so war es nun mal“ stehen bleiben. Sie will Kommunikation mit dem Publikum, auch wenn es schmerzt.
Und wenn man dann durch die lichten, halbfertigen Räume der künftigen Antiken-Abteilung schlendert: Da fühlt es sich an, als beträte man die eigene, frisch angemietete Wohnung. Man sieht die kahlen Wände, man befühlt die provisorisch angepinnten Pläne, und man ahnt: Ja, diese Direktorin könnte es hinbekommen. Sie könnte dieses Haus verjüngen. Sie könnte Pionierin sein und einen neuen, selbstreflektierten Museumstypus schaffen. Und damit vielleicht die ganze, verstaubte Gattung „Kunstgewerbemuseum“ rehabilitieren.
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