piwik no script img

Kunst und „Landesverrat“

■ Die DDR ist für den Schweizer Kriegsdienstverweigerer G.P. Adam Zufluchtsort - hier hat er einen Antrag auf Asyl gestellt / Wenige Monate vor ihrer Auflösung ein schwieriger Fall für die deutsche, demokratische Republik...

Von A. Böhm/H.-H. Kotte

Der Mann ist ein chronischer Anachronist und schert sich einen Dreck um die Konjunktur von Friedensbewegungen. Vor sechs oder sieben Jahren, in der Hochphase der Sitzblockaden und „We-shall-overcome„-Chöre, wäre er der Held gewesen. Im Jahre 1990 muß sich einer wie G.P. Adam schon ganau überlegen, wie man Leute für den Frieden interessiert, wo doch alle meinen, daß der endgültig ausgebrochen ist. Adam, 27 Jahre alt und mit einer ausgeprägten Abneigung gegen Waffen versehen, verweigert in seiner Heimat Schweiz den Kriegsdienst. Adam, von Beruf Maler und Bildhauer, entblößt die Schweizer Armee mit seinen Bildern. Auf beides reagiert das Musterland der Demokratie sehr empfindlich. Deswegen muß sich die DDR wenige Monate vor ihrer Auflösung mit einem Asylantragsteller aus Zürich herumschlagen.

In der Schweiz ist das Militär nicht einfach eine Armee, sondern ein nationaler Rotary-Club. Der Kriegsdienst ist zugleich Ehre und moderne Version eines Männlichkeitsrituals. Zur Armee gehen die Schweizer nicht nur einmal, sondern zwecks Manöverübungen immer wieder. Das Gewehr lassen sie nicht in der Kaserne, sondern nehmen es mit nach Hause. In über 600.000 guten Stuben von Schaffhausen bis Lugano steht griffbereit ein Karabiner mit Munition - falls er eben doch kommt, der Feind.

„In der Schweiz“, sagt Adam, „entscheidet sich vieles an der Frage, was anständig ist und was nicht.“ Die Armee ist anständig. Folglich entgeht der Armee nur, wer sich für unanständig erklärt: Mann mußte sich schon als homosexuell, drogensüchtig, psychisch oder physisch krank ausgeben, um dem Männerbund ohne strafrechtliche Folgen zu entgehen. Wer einfach nur den Kriegsdienst verweigert, bekommt es mit der Justiz zu tun. Acht Monate Gefängnis hielt ein Züricher Gericht für angemessen, weil Adam sich 1986 geweigert hatte, zu den Gebirgsfüsilieren einzurücken. Statt dessen meldete er sich beim zuständigen Militärkreiskommando mit einer Postkarte aus Venedig und teilte mit, er werde sich nun künstlerisch weiterbilden. Zivildienst hätte er schon abgeleistet, nur gibt es den in der Schweiz nicht. Jetzt, nachdem daß Volksbegehren vom November '89 den Militärs einen gehörigen Schrecken eingejagt hat, gibt es einen Ersatzdienst. Der allerdings dauert anderthalbmal so lange wie die Militärzeit. Nach Auffassung der Schweizer Sektion von amnesty international hat die vermeintliche Reform Strafcharakter. Doch selbst die kam für Adam zu spät.

Seit seiner Verurteilung ist er auf der Flucht - erst durch die Bundesrepublik, wo sein Asylantrag zwar öffentlich Furore machte, aber abgelehnt wurde, dann durch die Niederlande. Vor einigen Wochen flatterte einem verdutzten Mitarbeiter des Innenministeriums der DDR der Asylantrag des Schweizers auf den Schreibtisch. Der dürfte sich sowohl über das Herkunftsland des Flüchtlings als auch über die Begründung gewundert haben. Wer die Gewissensentscheidung der eigenen Bürger gegen den Kriegsdienst akzeptiere und schütze, heißt es in dem Antrag, der müsse auch einem Ausländer, „der in seinem Heimatland dieses Recht nicht wahrnehmen kann, den Status eines politisch Verfolgten zuerkennen“. Noch haben die DDR-Behörden - bei der Gewährung politischen Asyls bekanntermaßen ungeübt - keine Andeutung gemacht, wie sie auf den Schweizer Exilanten reagieren werden. Adam gibt sich vorerst demonstrativ zuversichtlich und hofft auf „eine souveräne Sichtweise“ der DDR-Behörden.

Fürs erste ist er zum Warten verurteilt wie andere Flüchtlinge auch. Nur hat er die Möglichkeit, die Zeit zu nutzen. Am Prenzlauer Berg ist er in einer Hinterhofwohnung untergekommen und hat sein Zimmer zum Atelier umfunktioniert. An den Wänden hängen meterhohe Bilder: ringende amphibische U-Boot-Menschen, Männer mit Sägeblattarmen - dazwischen, wie auf einer Collage, Skizzen und Landkarten. Adam verbindet Kunst mit dem, was die Schweizer Militärs Landesverrat nennen. In seine Gemälde integriert sind, künstlerisch verfremdet, aber gut zu erkennen, Aufzeichnungen von Militärobjekten in der Schweiz

-das Ergebnis ausgesprochen vielfältiger Recherchen: Kneipengespräche mit betrunkenen Rekruten, gekaufter Stationstagebücher, Interviews mit demotivierten Mitgliedern der Luftwaffe. Das Endprodukt ist eine Landkarte der Schweiz im Maßstab von 1:25.000, auf der Einsatzzentralen, Militärflughäfen, Munitionsdepots, Waffenfabriken und Manövergelände eingetragen sind. Dem Künstler kommt zugute, daß die Schweizer Armee bei ihrer Logistik Sinn fürs Pittoreske hat. Welcher Wanderer würde schon im Keller der Ausflugsgaststätte „La Punta“ im Tessiner Bergort Isone die Einsatzzentrale der Gebirgsgrenadiere vermuten.

Genug Bilder für eine Ausstellung hat er längst zusammen, es fehlen geeignete Räume - auf Ostberliner Territorium, in seinem Zufluchtsland, sollen sie liegen. Ahnungsloser Förderer dieser Ausstellung wird die Schweizer Kreditanstalt sein, alteingesessenes Geldinstitut und Geschäftspartner des Militärs. Die hatte dem jungen Mann schon vor längerem einen Kredit in Höhe von 6.000 Franken gewährt - ohne den Verwendungszweck zu kennen. Auf die Rückzahlung wird die Kreditanstalt noch eine Weile warten müssen - Flüchtlinge sind bekanntlich nicht auf Rosen gebettet. „Ich werde sie bei meiner Ausstellung als Sponsor benennen.“ So viel ironische Unerschütterlichkeit dient auch als Schutz. Von der Familie und Freunden ist er abgeschnitten, der Vater, ein altgedienter Militär, wechselt auch am Telefon kein Wort mehr mit seinem Sohn. Vier Jahre auf der Flucht, ohne Ruhepunkt, immer auf die Solidarität von mehr oder weniger Bekannten angewiesen, immer schon den nächsten „Abgang“ in Vorbereitung, falls doch einmal die Polizei vor der Tür steht. Den Medien begegnet er mittlerweile mit Distanz. Sein Anliegen, nämlich mit Kunst und Witz gegen das Militär zu agieren, vermittelt er inzwischen professionell. „Mit der Zeit“, sagt Adam, „sieht man vieles abgeklärter.“ Wenn die DDR ihm kein Asyl gewähren will, dann muß er, wohl oder übel, anderswo um Schutz bitten. So langsam kreist er die Schweiz ein.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen