: Kultur ist kein Selbstzweck
betr.: „Einbürgerung ist Klasse“ (Die interkulturelle Gesellschaft wird nicht diskutiert), taz vom 4. 1. 00
Was soll eigentlich eine „interkulturelle Gesellschaft“ sein? Eine Gesellschaft über den Kulturen, ohne Kulturen, mit allen Kulturen? Und wenn alle auf einmal, sollen die dann nebeneinander, unter- oder übereinander angeordnet sein? – Nein, antworten da die kulturell selbstbestimmten Linken: Alle miteinander und jede mit jeder Kultur! Konservative bemühen sogleich den Melting-Pot, um vor einer Kulturmelange zu warnen. Beide Seiten, Linke wie Rechte, sind derart verbiestert in ihrem jeweiligen Glaubensbekenntnis, dass sie gar nicht merken, wie unsinnig die eine (interkulturell) wie die andere Ideologie („(r)eine Kultur gegen Melting-Pot) ist: Erst aus dem Neben- und Miteinander unterschiedlicher Lebensstile entsteht Kultur.
Kultur ist dabei kein Selbstzweck und muss sich im Zweifelsfall Einschränkungen gefallen lassen – auch die Beschneidung ist schließlich kulturelle Überlieferung, deshalb ist sie noch lange nicht mit universellen Rechtsvorstellungen vereinbar. Und siehe da: Es kommt weniger auf die Kultur als vielmehr auf das Recht an. Dieses hat der Kultur Grenzen zu setzen, um dem kulturellen Miteinander einen vernünftigen Rahmen zu geben. Kultur beschränkt ihrerseits die Wirkung des Rechts, wie die Lehre von Sein und Sollen zeigt. Schließlich lässt sich eine Norm in einer Demokratie niemals gegen die Mehrheit durchsetzen.
Was mensch daraus lernen kann? Dass sich der überhebliche Hinweis auf ein angeblich linkes Konzept einer interkulturellen Gesellschaft selbst in die Tasche lügt. Jede Gesellschaft hat eine Kultur. Es kommt darauf an, wie sehr diese eine von Toleranz geprägte ist. Diese lässt sich nicht von Ideologien anordnen. Roland Bösker,
Innenpolitischer Sprecher der FDP Hamburg-Nord
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