: Kultur-Armenhaus
■ „Bürgerrecht auf Kultur und Freiheit der Kunst im vereinten Deutschland wird ungleich verwirklicht“
Berlin (adn) — Auf die Gefahr, daß „das Bürgerrecht auf Kultur und Freiheit der Kunst im vereinten Deutschland ungleich verwirklicht und die neuen Länder zum kulturellen Armenhaus werden“, verweist der Künstlerschutzbund der DDR in einem am Montag veröffentlichten zweiten Offenen Brief an den Ministerpräsidenten Lothar de Maizière. Der Künstlerschutzbund erinnert in seinem Schreiben daran, daß er sich wiederholt dringlich in Kunst und Kultur des Landes betreffender und grundlegender Angelegenheit an den Regierungschef gewandt hat. Der Bund beklagt, daß der Ministerpräsident darauf nie eine Antwort gab.
Antwort, Verständnis und Unterstützung für die Belange von Kunst und Kultur seien dagegen von Politikern aus der Bundesrepublik gekommen, darunter vom Bundespräsidenten, von der Präsidentin des Bundestages und von Ministerpräsidenten der Länder.
Das Schweigen von de Maizière sei „unverständlich und bedrückend“. Der Schutzbund verweist auf die Verfügung des Ministers im Amt des Ministerpräsidenten, Klaus Reichenbach, den Künstlerorganisationen die Zahlungen der vom Haushaltsausschuß der Volkskammer und vom Minister für Kultur gebilligten Finanzmmittel für das IV. Quartal zu verweigern.
„Damit ist die im Gang befindliche Umwandlung in eigenständige Interessenvertretungen der Künstler unmöglich gemacht. Die Verbände werden außerstande gesetzt, ihren gesetzlichen Pflichten hinsichtlich der Einhaltung beziehungsweise der Abwicklung bestehender Verträge, in Sonderheit der Finanzierung von Kündigungsfristen ihrer wenigen noch verbliebenen Mitarbeiter, nachzukommen. Kulturprojekte von bedeutendem Rang werden liquidiert, bevor sie in neue, eigenständige Existenzformen übergehen können.“
Auf diese offenkundige Rechtsverletzung und ihre schwerwiegenden Folgen habe die Organisation den Ministerpräsidenten in einem Offenen Brief vom 11. September aufmerksam gemacht und um Widerruf der Entscheidung gebeten. Auch dieser Brief sei von de Maizière ignoriert worden.
Diese Mißachtung von Künstlern und ihrer demokratisch verfaßten Organisation sei — beabsichtigt oder nicht — Teil einer um sich greifenden Kulturlosigkeit, von Kunst- und Künstlerfeindlichkeit, wird in dem Offenen Brief festgestellt.
Der Bund ersucht alle demokratischen Parteien, Politiker der beiden deutschen Staaten und die künftige Regierung des vereinten Deutschland, die kulturelle Dimension der Vereinigung nicht aus dem Auge zu verlieren.
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