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Kürzen bis zum letzten Buch

■ Bremens Stadtbibliotheken: durch Nulldiät auf dem Weg zum Hungertod/ Kompromiß im Streit um Schließungen in Sicht: 16 Zweigstellen sollen bleiben

Wenn am 27. Februar die Stadtbibliothek in der Neustadt ihre Pforten wieder öffnet, dann hat es den Anschein, als sei endlich ein erster Etappensieg im jahrelangen Marathonlauf zur Reform des Bremer Bibliothekswesens errungen worden. Doch hinter den frischgestrichenen Wänden scheinen die Altlasten durch. Für manche wird das Ausmaß des Dilemmas der Bremer Bibliotheken an dieser Renovierung erst deutlich. „Wir sind zehn Jahre zu spät“, räumt die Bibliotheksleiterin Barbara Lison-Ziessow ein. „Damals haben vergleichbare Städte begonnen, ihre Ausleihen auf EDV umzustellen.“

Bremen hat mal wieder geschlafen. Das wird nicht nur an der längst überfälligen EDV-Nachrüstung deutlich. Das gesamte Bibliothekswesen der Stadt befindet sich seit 20 Jahren auf einem veralteten Stand. Soweit sind sich die Beteiligten einig. Bei den Neuerungsvorschlägen jedoch gehen die Vorstellungen weit auseinander.

Im vergangenen September war im Kulturressort ein Planungspapier zur Umstrukturierung erarbeitet worden, das mehrere Modelle vorstellte, unter anderem eine Radikallösung: Aus gegenwärtig 31 Bibliotheken könnten nach Planspiel A in Zukunft magere fünf werden. Eine neue Zentralbibliothek, als notwendiger Ersatz für den Standort Schlüsselkorb, und außerdem nur noch weitere vier Zweigstellen in den wichtigsten Stadtteilen - eine Horrorvision für Buchliebhaber der Stadt.

Mittlerweile hat eine Annäherung stattgefunden. Barbara Lison- Ziessow: „Die Kultursenatorin scheint mittlerweile verstanden zu haben, daß dieser Vorschlag modifiziert werden muß, daß man in den sozial benachteiligten Regionen Zugeständnisse machen muß.“ Die sehen so aus: 16 Bibliotheken, das ist das favorisierte Modell der Senatorin Trüpel. Die würden sich aus der neuen Zentralbibliothek, vier Bezirksbibliotheken, 9 Jugendbibliotheken und zwei Bücherbussen zusammensetzen. Zusätzlich, und das ist wirklich neu, sollen noch die kleinen Stadtteilbibliotheken in Obervieland und Osterholz-Tenever erhalten bleiben. So der aktuelle Vorschlag mit der Erläuterung, man müsse die besondere Situation im Stadtteil Tenever berücksichtigen, der stark durch Fluktuation und Migration gekennzeichnet ist.

„Die grüne Vorstellung von der Dezentralisierung ist da zu Ende, wo es kein Geld mehr gibt“, sagt Helga Trüpel. Schließlich müsse sie den Spagat zwischen Anspruch und Machbarkeit in einer Stadt zustande bringen, die in den 70ern mit 44 einzelnen Stadtteilbüchereien als Vorzeigemodell unter den Bibliotheken galt. Aber das ist lange her, damals gab es auch noch 240 BibliothekarInnen, die benutzerfreundliche Öffnungszeiten garantieren konnten. Heute ist man bei 144,5 Stellen angelangt.

Und Bibliotheksleiterin Barbara Lison-Ziessow beklagt aufs schärfste, daß diese Situation Öffungszeiten nach sich zieht, die so kümmerlich sind, daß ständig die Schließung droht. Ist mal eine Grippewelle im Umlauf, dann bleibt die Zweigstelle gleich zu.

„Die Situation mit dieser äußerst knappen Personaldecke führt dazu, daß die Einsparungen ziellos werden. Man streicht und streicht, und es bleibt am Ende etwas übrig, das keine Form mehr hat. Das ist besonders unbefriedigend. Eine politische Entscheidung würde an diesem Punkt Abhilfe schaffen.“

Helga Trüpels Vorstellung: „Man muß jetzt einmal den Mut haben und sich zu einem Beschluß durchringen, nur dann kann eine kluge Planung laufen. So können wir ja auch mit niemandem verhandeln, wenn es etwa um die Suche nach einem neuen Gebäude für die Zentralbibliothek geht.“

Diesen Punkt hält Regine Stein-Eger, Personalratsvorsitzende der BibliothekarInnen, für ganz entscheidend. In einer gerade verabschiedeten Resolution des Gremiums steht die Suche nach einem neuen Gebäude für die Zentralbibliothek ganz oben: „Seit 20 Jahren laufen die Planungen, immer heißt es, nun sei es ganz konkret. Mittlerweile ist es im Schüsselkorb aber so eng, daß man sich vorkommt, wie mit dem Hammer in einen Schuhkarton geschlagen“.

Auf anderer Ebene formuliert Horst von Hassel vom Landesverband des Deutschen Bibliotheksverband die Misere: „Wir sollen darauf achten, daß die Versorgung der Bevölkerung mit funktionierenden Bibliothekseinrichtungen gewährleistet ist, davon kann zur Zeit nicht die Rede sein. Die Personaldecke ist bereits zu dünn.“ Um die öffentlichen Aufmerksamkeit auszunutzen fordert er, daß sich die politischen Parteien endlich an einen Tisch setzen. Schließlich ist mit der Eröffnung der renovierten Neustädter Bibliothek der Anlaß gegeben. Am Dienstag lädt von Hassel um 19.30 Uhr in die Stadtwaage zu einem Hearing ein, zu dem die vier Parteien ihre Sprecher abgeordnet haben, Thema: die Umstrukturierung der Bremer Stadtbibliothek. Susanne Raubold

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