KOMMENTAR: Künstliche Beatmung
■ Die Nationalitätenkonflikte haben das Ende des Kommunismus in Jugoslawien verzögert
Hintergrund all der Fehler, die die internationale Gemeinschaft im Jugoslawienkonflikt begangen hat, ist die fehlende Kenntnis über die Eigenheiten dieser Region, insbesondere das Unwissen über die ethnischen Konflikte. Während des Zweiten Weltkrieges haben sich fast alle in Kroatien lebende Serben — unter dem Druck der Völkermordpolitik der kroatischen Quislingsregierung — den kommunistischen Partisanen Titos angeschlossen. Für die Kroaten, die sich Tito anschlossen, war das eine fast ausschließlich ideologische Wahl, sie waren Antifaschisten und Kommunisten, sie gingen nicht in den Untergrund, weil es um ihr nationales Überleben ging. Für die Serben war es in erster Linie eine Überlebensfrage, die sie manchmal nur mit einer ideologischen Orientierung verbanden.
Auf diese Weise wurde das Partisanenbewußtsein auf lange Jahre hinaus in den Gebieten fest verankert, in denen die serbische Minderheit stark vertreten ist: in Kroatien, Bosnien und Carnogorje. Dieses Bewußtsein verschaffte den dortigen Serben ein Gefühl von Würde, einen eigenen gesellschaftlichen Status, ja sogar materielle Vorteile, von Invalidenrenten bis zu Veteranenpensionen und Stipendien für ihre Kinder.
Als sich die Serben in Bosnien, Carnogorje und Kroatien zu wehren begannen, taten sie das nicht aus Protest gegen die Unabhängigkeit dieser Länder, sondern weil deren Politik begann, ihren Status zu erschüttern. Ihre Angst war nicht grundlos: Vor den Augen der Opfer des Ustascha-Regimes begann dessen Rehabilitierung, Plätze wurden umbenannt, Denkmäler aufgestellt oder umgestürzt. Die Angst der Serben führte zugleich zu einer Stärkung der einzigen gesamtjugoslawischen Ideologie, die als solche eigentlich schon im Absterben begriffen war: des Kommunismus. Daher die Unterstützung der Diaspora-Serben für Milosevic.
Die Nationalitätenkonflikte haben das Ende des Kommunismus in Jugoslawien eher verzögert. Das wird deutlich, betrachtet man die Tatsache, daß — wie etwa der kroatische Premier Franjo Tudjman — viele führende Politiker der unabhängigen Republiken ehemalige kommunistische Kader sind.
Besonders stark wird diese Verbindung im Fall Serbien deutlich, hervorgerufen durch die Ängste der serbischen Minderheiten und das historisch bedingte Partisanenbewußtsein, das eine Identifizierung mit der kommunistischen Ideologie als „gesamtjugoslawischem Zusammenhalt“ sehr begünstigt. Die Angst kann man den Serben nur nehmen durch demokratische Veränderungen in den unabhängigen Republiken — dazu braucht es allerdings Druck von außen, Druck, der bisher nur einseitig auf Serbien ausgeübt wurde.
Ilija Marinkovic
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