Künstler über Kunst in Kriegszeiten: Die Mona Lisa lächelt in Syrien
Tammam Azzam erklärt, warum sich in seinen Fotomontagen berühmte Kunstwerke der Weltgeschichte in Syriens Trümmerlandschaften wiederfinden.
taz: Herr Azzam, wie sehr hat sich Ihr Leben seit dem Ausbruch des Syrienkrieges verändert?
Tammam Azzam: Um 180 Grad. Heute bin ich ein gefragter internationaler Künstler aus einem traurigen Anlass. Allein von der Kunst konnte ich damals in Syrien nicht leben. Deshalb arbeitete ich vor 2011 hauptsächlich als Grafik-Designer. Dann kam der Krieg und ich ging mit meiner Frau und meiner Tochter nach Dubai. Wir mussten uns hier ein komplett neues Leben aufbauen.
Fiel Ihnen die Entscheidung schwer, Syrien zu verlassen?
Natürlich. Zu Beginn der Revolution war ich sehr glücklich. Endlich bewegte sich etwas in meinem Land. Doch acht Monate später hatte sich die Situation so sehr verschlechtert, dass die Galerie, für die ich arbeitete, nach Dubai umzog. Und ich ging schweren Herzens mit. Meine Eltern und mein Bruder blieben in unserer Heimatstadt Suweida in Südsyrien zurück. Ich vermisse sie sehr.
Wie hat sich das auf Ihre Kunst ausgewirkt?
Nicht nur meine Kunst veränderte sich. Ich fühlte mich plötzlich selbst wie ein anderer Mensch. Ich fragte mich: Warum an meinen alten Kunstprojekten weiterarbeiten? Sie waren von einem Land und einer Gesellschaft inspiriert, die so nicht mehr existierten. Außerdem musste ich mein Atelier und all meine Materialien in Damaskus zurücklassen. Das Einzige, was mir geblieben war, war der Computer. Also begann ich mit meinen ersten digitalen Kunstprojekten.
In Ihrer digitalen Kunstreihe „Syrian Museum“ kombinieren Sie berühmte Kunstwerke wie die Mona Lisa mit Bildern von zerstörten Häuserzügen in Syrien. Was steckt dahinter?
Ich wollte, dass meine Kunst und mein Anliegen die Weltöffentlichkeit erreicht. Also musste ich eine universelle Sprache finden. Die historischen Kunstwerke schafften Aufmerksamkeit. Vor allem die Werke des spanischen Künstlers Goya inspirierten mich. In seinem Gemälde „Die Erschießung der Aufständischen“ bebildert er die Hinrichtungen von über 40 Männern, die sich 1808 gegen die französische Besatzungsmacht auflehnten. In Syrien passiert das jeden Tag.
wurde 1980 in Damaskus geboren. Seine Familie stammt aus der Stadt Suweida im Süden Syriens und gehört der Glaubensgemeinschaft der Drusen an. 2001 beendete er sein Studium mit Schwerpunkt Malerei am Institut der bildenden Künste in Damaskus. Seit 2008 arbeitete er als Grafik-Designer für die Ayyam-Galerie. Als Azzam 2011 einen Einberufungsbefehl der syrischen Armee erhielt und die Ayyam-Galerie aufgrund des aufflammenden Krieges nach Dubai umzog, verließ er Syrien mit seiner Frau und seiner Tochter.
Seitdem lebt und arbeitet er in Dubai. Mit der digitalen Kunstreihe „Syrian Museum“ wurde Azzam 2012 international bekannt. In ihr verband er unter anderem Bilder von den Schauplätzen des Krieges in Syrien mit berühmten Kunstwerken von Picasso, Matisse und da Vinci. Seine Ausstellung „I, the Syrian“ feierte 2013 große Erfolge in der Ayyam-Galerie in London und Beirut.
In sozialen Netzwerken wurde Ihre Fotomontage „Der Kuss“ – im Original von Gustav Klimt – heiß diskutiert. Viele glaubten an die Echtheit des Graffito auf einem bombardierten Haus in Damaskus.
Ich veröffentlichte die Fotomontage Anfang 2013 und bis heute sprechen die Leute darüber und denken, dass sie echt sei. Tatsächlich träume ich davon, bei den Menschen in Syrien zu sein und in den Straßen Kunst für sie zu machen.
Eine andere Fotocollage zeigt das Skelett eines syrischen Wohnhauses, das an einem großen Bündel bunter Luftballons befestigt am Parlament in London oder den Vereinten Nationen in Genf vorbeischwebt. Wo geht die Reise sonst noch hin?
In Syrien gibt es kein Zuhause mehr. Es gibt kein Zurück. Die Häuser, in denen die Menschen einst gewohnt haben, sind nur noch Produkte ihrer Fantasie. Mehr als neun Millionen syrische Flüchtlinge tragen solche Erinnerungen an ihre Heimat in die Welt hinaus. Das symbolisiert die Fotocollage „Bon Voyage“.
Das fliegende Haus kommt auch an Ground Zero vorbei.
In New York spielte sich an einem Tag eine unglaubliche Tragödie ab. In Syrien passieren jeden Tag viele Tragödien und niemand unternimmt etwas.
Haben Sie die Hoffnung aufgegeben?
Nein. Aber ich werde langsam müde, ständig zu wiederholen, dass in Syrien immer noch Menschen für ihre Freiheit kämpfen. Und dass es sich bei den Rebellen nicht ausschließlich um Kämpfer der Isis oder der Al-Nusra-Front handelt. Wir Syrer sind nicht per se Terroristen.
Da scheint sich viel Wut bei Ihnen angestaut zu haben.
Wir Syrer haben es schwer. Ich habe aus Kanada und den USA Einladungen zu Kunstfestivals erhalten. Doch die Botschaften lehnten meine Visaanträge ab, weil ich nun einmal Syrer bin. Aber ich darf mich kaum beschweren. Hier in Dubai geht es mir und meiner Familie sehr gut. Viele andere Syrer, die in irgendwelchen Flüchtlingslagern unterkommen, haben solche Visa bitter nötig und werden abgelehnt.
Sie beharren in Interviews darauf, dass Sie kein politischer Künstler sind. Wie kann es unpolitisch sein, den Syrienkrieg zum Gegenstand Ihrer Kunst zu machen?
Ich habe eine unerschütterliche politische Einstellung. Aber wenn ich Kunst mache, will ich keine politisierte Botschaft an das Regime, den Präsidenten oder die Dschihadisten senden. Meine Kunst ist für die Menschen. Meine Gedanken reisen ständig zu den Syrern in Syrien und auf der Flucht.
Wie kann Kunst diesen Menschen helfen?
Kunst hat keinen Einfluss auf die Geschehnisse. Nach über drei Jahren wissen wir, dass Kunst, Literatur sowie der bewaffnete Kampf keinen positiven Wandel in Syrien eingeleitet haben. Anfang 2011 waren wir voller Hoffnung. Heute ist Syrien ein Schlachtfeld. Aber da ich Syrer bin, verstehe ich viel besser als die internationalen Medien, was in Syrien passiert. Und als Künstler werde ich immer versuchen, durch meine Kunst die Wahrheit zu transportieren.
Angenommen, der Krieg würde eines Tages enden und Sie könnten schon morgen nach Syrien zurückkehren. Was wäre das Erste, was Sie dort tun würden?
Darüber mache ich mir keine Illusionen. Aber ich denke, dass ich zuerst zu meinen Eltern nach Suweida reisen würde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste