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Archiv-Artikel

Kuckensema Beim Lateinamerika Filmfestival in Bremen kann das Kinoland Uruguay entdeckt werden

Bis vor kurzem hatte in Europa kaum jemand einen Film aus Uruguay gesehen. Doch dann wurde der zugleich lakonisch und einfühlsam erzählte ?Whisky`` zuerst auf internationalen Festivals und dann in den Programmkinos ein Überraschungserfolg. Zwischen dem 7. und 14. Oktober kann man nun in den Kinos Schauburg, Atlantis und Gondel diesen weißen Fleck auf der Kinoweltkarte ergründen. Deren Betreiber Manfred Brocki hat zusammen mit der in Bremen ansässigen Filmproduktionsfirma ?Surfilm``, die enge Kontakte nach Lateinamerika hat, nun schon zum dritten Mal dieses kleine Festival aus dem Boden gestampft. In den beiden ersten Jahren wurden Filme aus Kuba und Mexiko gezeigt, die beide eine vergleichsweise fruchtbare Filmproduktion haben, während das kleine und arme Uruguay sich schlicht keine größere Filmindustrie leisten kann. Um so erstaunlicher ist es, wie groß die Bandbreite der in Bremen gezeigten Filme ist. Sechs Langfilme sowie 13 Kurzfilme werden jeweils in den Originalfassungen mit englischen Untertiteln zu sehen sein, und dazu gibt es als Reprisen der vorherigen Jahrgänge noch den mexikanischen Kriminalfilm ?AroTolbukhin``, der bei italienischen Filmfestival ?Noir`` den Preis für den besten Film bekam und Oliver Stones Dokumentarfilm aus, oder besser über Kuba ?Comandante`` mit Fidel Castro.

Schon beim Eröffnungsfilm ?El Viaje hacia el Mar`` (Die Reise ans Meer) kann man eine Verwandtschaft zu ?Whisky`` erkennen, denn der Regisseur Guillermo Casanova konzentriert sich ebenfalls auf die kleinen Gesten, zeichnet liebevoll skurrile Charaktere und macht aus der Not eines niedrigen Budgets und fehlender filmtechnischer Mittel eine Tugend. Fünf alte Herren aus einem kleinen Dorf im Hinterland haben noch nie das Meer gesehen, und so lädt der Führunternehmer Rodriguez eines Tages seine Stammtischbrüder auf die Ladefläche seines Lastwagens und ab geht die Fahrt durch eine sonnige Landschaft. Ein geheimnisvoller Fremder springt einfach mit auf den Wagen und hat eine Flasche Rum mitgebracht, und so geht es bei dieser Reise bald feuchtfröhlich zu. Oft hat man das Gefühl, der Regisseur habe seine Schauspieler einfach nur trinken, scherzen, singen und streiten gelassen - die meisten Szenen wurden in langen, ungeschnittenen Totalen und Halbtotalen aufgenommen, sodass man die ganze Gruppe im Blickfeld hat. Und so lernt man diese fünf sympathischen Originale gut kennen, fährt gerne mit ihnen durch die sonnige Landschaft, auch wenn nicht viel passiert, und ein Regenschauer schon der dramatische Höhepunkt der Reise ist. Casanova vertraut ganz auf die Schauspielkunst der sechs Männer und verzichtet auf alle Tricks und dramaturgischen Verwicklungen, die sowohl in Hollywood wie auch im europäischen Kunstkino bei solch einem Roadmovie verwendet worden wären. Somit könnte man ihn als eine lateinamerikanische Antwort auf die Dogma-Filme sehen, wenn diese Interpretation angesichts dieses im besten Sinne des Wortes einfachen Films nicht zu hochgestochen wäre. Wilfried Hippen