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Kubanische Geheimdiplomatie

■ Kuba und Spanien verhandeln unter Ausschluß der Öffentlichkeit um das Schicksal der Botschaftsflüchtlinge in Havanna / Welche Rolle spielten BRD-Diplomaten in der Botschaftsaffäre?

Aus Havanna Ralf Leonhard

Der ganze Häuserblock ist von Polizisten abgeriegelt, ja selbst der gegenüberliegende Park ist nur zur Hälfte zugänglich. Die Botschaft seiner Majestät Juan CarlosI in der kubanischen Hauptstadt Havanna, ein stattlicher Kolonialpalast mitten im Stadtzentrum, gleicht einer belagerten Festung, seit Mitte Juli nach und nach 18 Kubaner eingedrungen sind. Immer wieder bleiben Neugierige stehen, beobachten die Uniformierten vor dem Gebäude und verrenken sich die Hälse nach den spanischen Elitepolizisten, die sich ab und zu auf einem der kolonialbarocken Türmchen sehen lassen.

Über die Verhandlungen, die hinter den Kulissen zwischen Madrid und Havanna laufen, dringt praktisch nichts in die Öffentlichkeit. Selbst in Diplomatenkreisen ist wenig zu erfahren. „Die Spanier sind sehr diskret, und damit haben sie recht“, meint ein europäischer Botschafter. Spanien will durchsetzen, daß die Asylwerber ausreisen können. Fidel Castro geht es ums Prinzip: „Eine Botschaft ist kein Reisebüro“, erklärte er in seiner Festansprache zum 37.Jahrestag des Sturms auf die Moncada-Kaserne am 26.Juli. Der bärtige Staatschef ist auf die Spanier schlecht zu sprechen, seit Felipe Gonzalez als Repressalie wegen der Botschaftsaffäre nicht nur die eigene Wirtschaftshilfe (immerhin 2,5 Millionen Dollar) strich, sondern auch die anderen EG-Länder zu ähnlichen Maßnahmen aufforderte.

Insgesamt 45 Kubaner waren im Laufe des Monats Juli in eine Reihe europäischer Botschaften eingedrungen und wollten eine Ausreiseerlaubnis durchsetzen. Einigen ging es gar nicht um die Ausreise, sondern angeblich um Schutz vor Verhaftung. Der Staatschef garantierte allen Botschaftsflüchtlingen Straffreiheit und verlangte, daß sie sich stellen. Reisepapiere würde aber keiner bekommen. Inzwischen haben die meisten aufgegeben. Nur 16 Leute in der spanischen Botschaft sind noch Gegenstand eines diplomatischen Tauziehens. Und in der Residenz des belgischen Botschafters haben im August weitere vier Personen Zuflucht gesucht. Über die Hintergründe der Botschaftskrise kursieren mehrere Versionen. Die kubanische Regierung stellt sie als Verschwörung der USA und mehrerer europäischer Regierungen dar, deren Ziel die diplomatische Isolierung der Revolution sei. Tatsächlich erschien es auch unbefangenen Beobachtern als suspekt, als eine erste Gruppe von Dissidenten am 9.Juli in der Botschaft der CSFR um diplomatischen Schutz nachsuchte. Wenige Tage vorher hatten Massenanstürme auf die Botschaften in Albanien weltweit Schlagzeilen gemacht. Noch bevor der Sekretär der Botschaft das kubanische Außenamt verständigen konnte, riefen bereits internationale Presseagenturen und der exilkubanische Sender „Radio Marti“ aus Miami in der Botschaft an und verlangten die Eindringlinge. Zwei der drei Besetzer, die sich nach wenigen Tagen stellten, berichteten später in einem prominent im Fernsehen übertragenen Interview, sie seien von Diplomaten zu derartigen Aktionen ermuntert worden. Schlüsselfigur der Verschwörung sei Peter Schaller, der erste Sekretär der westdeutschen Botschaft. Schon im März, als in der UNO -Menschenrechtskommission in Genf eine Resolution zur Verurteilung Kubas diskutiert wurde, habe Schaller - im Auftrag der USA - prominenten Dissidenten geraten, Botschaften zu besetzen. Dies erklärte niemand geringerer als Tania Diaz, eine oppositionelle Literatin, die als eine der prominentesten Kritikerinnen Castros gilt (selbst aber an keiner Besetzung teilnahm, weil sie derzeit wegen „Vergehens gegen die Staatssicherheit“ in Untersuchungshaft sitzt).

Peter Schaller, so erklärt der deutsche Botschafter Zimmermann, habe zwar mit den Dissidenten engen Kontakt gehabt, bestreite jedoch die Vorwürfe. Der Funktionär selbst befand sich zum Zeitpunkt dieser Recherche auf Urlaub. Ein anderer Diplomat berichtet, er könne sich den Fernsehauftritt von Tania Diaz nur auf eine Weise erklären: „Sie muß unter Druck gesetzt worden sein.“

Die Diplomaten in Havanna unterscheiden zwischen „authentischen“ Asylwerbern und falschen. Letztere werden verdächtigt, der Geheimpolizei anzugehören. In jede Botschaft, wo sich Gruppen von Ausreisewilligen einfanden, drang kurz darauf eine ebenso starke Gruppe von Leuten ein. Ihr kräftiger Körperbau, ihre gute Kleidung und ihr präpotentes Auftreten unterscheiden sie deutlich von den „authentischen“. Was sie außerdem verdächtig macht, ist, daß es ihnen noch gelang, sich in die jeweiligen Gebäude einzuschleichen, nachdem diese bereits von Polizei abgeriegelt waren. Die Spanier ließen eigens eine Truppe Elitepolizei einfliegen, um die beiden Gruppen innerhalb der Botschaft voneinander zu trennen.

Ob die Serie von Besetzungen nun geplant war oder eine Aufeinanderfolge spontaner Aktionen von Ausreisewilligen war: die Massenhysterie ist ausgeblieben. Eine Ausreisewelle ähnlich der von 1980 ist nicht zu erwarten. Die Krise legt aber eines der Probleme der kubanischen Rechtsordnung offen. Wer nicht als Funktionär, Künstler, Sportler oder Internationalist zu einer offiziellen Reise kommt, hat kaum Aussicht, den Rest der Welt kennenzulernen. Ein Sozialforscher: „Mit einer kohärenten Ausreisepolitik hätten wir das Problem vermeiden können.“

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