: Kronawitters Kampagne
Mehrstündige Razzien, frühmorgendliche Zählappelle und abstruse Behauptungen schüchtern Münchens Asylbewerber ein ■ Aus München Katja Diefenbach
In München nimmt die Kampagne von Oberbürgermeister Georg Kronawitter (SPD) gegen die Asylbewerber in der bayerischen Metropole immer drastischere Züge an. Dienstag nachmittag führte die Münchner Polizei in zwei Flüchtlingsunterkünften mehrstündige Razzien durch. Begründung: Am Tag zuvor war ein 26jähriger Asylbewerber aus Bangladesch, der im Containerlager auf der Theresienwiese wohnt, in einer Schlägerei verletzt worden. Kurz nach der Tat wurde ein 34jähriger Bangladeschi als Verdächtiger festgenommen. Die Suche nach drei weiteren Tatbeteiligten nahm die Polizei zum Anlaß, die staatliche Unterkunft in der Bayerbrunner Straße zu durchsuchen und das städtische Lager auf der Theresienwiese mit einer halben Hundertschaft und mehreren Hunden abzuriegeln, Container für Container zu durchkämmen und die Personalien sämtlicher Bewohner festzustellen. Fünfzehn Bangladeschi wurden vorläufig festgenommen.
Zu der Kampagne, die auch vom Kreisverwaltungsreferenten Hans- Peter Uhl (CSU) mitgepuscht wird, gehören auch die frühmorgendlichen „Zählappelle“ der vergangenen Tage in vier Müncher Containerlagern. Am vergangenen Montag hatte Kronawitter die Ergebnisse der ersten „Zählappelle“ präsentiert: Von 802 Flüchtlingen seien 529 nicht angetroffen worden. Wie Kronawitter glaubt, sind sie „auf und davon“. Mutmaßungen, wo sie hin sind, möchte er keine anstellen, aber er droht: „Wir werden deutlich nachsehen.“ Am Mittwoch sagte Ernst Wolowicz, Büroleiter des Oberbürgermeisters, der taz, Kronawitter habe das Sozialreferat schriftlich angewiesen, die vom Kreisverwaltungsreferat begonnenen „Zählappelle“ fortzusetzen und täglich in allen städtischen Unterkünften um sechs Uhr früh Anwesenheitskontrollen durchzuführen. Daß in den letzten Wochen immer weniger nigerianische Flüchtlinge in München eintreffen, wertete Kronawitter als Erfolg seiner Abschreckungspolitik: „Es hat sich herumgesprochen, daß München ein heißes Pflaster ist.“ Kronawitter erneuerte seine Forderung nach Änderung des Grundgesetzes, der sich inzwischen auch die Münchner SPD- Stadtratsfraktion „nicht verschließen“ will.
Besonders auf die nigerianischen Flüchtlinge hat es die rot-schwarze Koalition abgesehen. So verstieg sich der CSU-Mann Uhl kürzlich sogar zu der Behauptung, daß sich unter den nigerianischen Asylbewerbern Hunderte schwerbewaffnete Söldner Gaddafis befänden. Die nigerianischen Flüchtlinge im Containerlager Hansastraße fühlen sich durch die vom OB losgetretene Pressekampgne gegen „Asylschmarotzer“ ('Bild‘) persönlich bedroht. Sie werten ihre Behandlung durch den privaten Sicherheitsdienst als deutliches Zeichen, daß sie in München „unerwünscht“ sind. „Verschwunden“ oder „untergetaucht“, wie es in der bürgerlichen Presse behauptet wurde, sei aber keiner von ihnen. Daß so viele von ihnen beim Zählappell nicht anwesend waren, erklärten sie mit der gefängnisartigen Lagersituation, der sich doch jeder einmal für eine Nacht zu entziehen versuche. Auf völliges Unverständnis stieß schließlich die These von den Gaddafi-Söldnern. Als Christen, die von der moslemisch dominierten nigerianischen Regierung verfolgt wurden, hätten sie nicht die geringste Sympathie für das moslemische Libyen.
„Eine Peinlichkeit für den Oberbürgermeister“, nannte die grüne Stadträtin Angelika Lax die „Zählappelle“ in den Flüchtlingsunterkünften. Kronawitters Politik sei eine „erneute Zerreißprobe“ für die rot-grüne Stadtregierung. Weit reicht die antirassistische Konsequenz der Münchner Grünen aber nicht. Siggi Benker, Mitarbeiter der grünen Bürgermeisterin Sabine Csampai: „Daran wird die Münchner Koalition nicht zerbrechen.“
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