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Krokodil über den Wassern

■ „Schleswig-Holstein literarisch“: Ein Streifzug durch Bücher soll das gar nicht so platte Bundesland plastischer machen Von Britt-Kristin Feldmann

„Begeisterung befällt mich im Speisewagen jäh beim Anblick heimischen Flachlands.“ Derart euphorisch äußert sich die Schriftstellerin und Lyrikerin Sarah Kirsch über ihre Wahlheimat Schleswig-Holstein. „Ab Glückstadt bin ich stets glücklich. Auf leerem Plan befindet sich nichts außer Koppelpfählen und Maulwurfshügeln“, schreibt die nach „Matschedonien“ Zugewanderte in „Schwingrasen“.

Die Literaturlandschaft des platten Bundeslandes ist beileibe nicht eintönig. Heinrich und Thoman Mann und Theodor Storm, Klaus Groth und Hans Fallada fallen ohne großes Nachdenken ein, und Zugereiste wie Siegfried Lenz oder Günter Grass. Aber wie steht es mit der Landschaft in der Literatur? taz-Redakteur Kai Dohnke hat Textpassagen bekannter, unbekannter und wiederentdeckter AutorInnen zusammengeschnipselt, um „Schleswig-Holstein literarisch“ zu erkunden. Über 70 Autoren sollen das Land zwischen den Meeren lebendig werden lassen.

Wer sich leseleidenschaftlich an heimatlichen Literaturblüten festliest, findet in dem reichbebilderten Büchlein manchen Ausschnitt zum Anlesen. Von heimattümelnder Dichtung bis zum Weltklasseroman ist alles vertreten. Seine topographische Tour d'Horizon führt vom Mannschen Lübeck in das bürgerliche Kappeln Hermann Heibergs, über das 1861 von Heinrich Smidt gemalte „langgestreckte Krokodil Sylt“ zu Dithmarschens „blauen Kohlfeldern“ und nach Brokdorf zu Grass' Kopfgeburten. Daneben finden sich zahlreich eher bescheiden mit regionalen Lorbeeren gekrönte SchriftstellerInnen wie Hermann Heiberg, Inge von Rantrum oder Harry Moeller und Uwe Herms.

Die Stile jagen sich, Autoren folgen aufeinander. Doch deren Beschreibung bleibt meist in wenigen Attributen stecken. Auch eine Einordnung in den literaturgeschichtlichen Kontext bleibt überwiegend unberücksichtigt. Das ist schade, weiß man doch, daß der Mensch erst den Dingen Leben einhaucht.

Das ist das Manko dieses Buches. Mit akribischem Spürsinn stöbert Dohnke zwar Orte in der Literatur auf, um beim Leser vielleicht ein ebenso detektivisches Interesse zu wecken. Aus den Literaturschnipseln läßt sich allerdings nur schwer ein konkretes Lokalkolorit herauslesen. Mit Timm Kröger zitiert er einen Meister des Verwirrspiels: „Je ratloser der Leser hinsichtlich der Modellfrage ist, um so edler, reiner und künstlerischer genießt er das Gebotene.“ So bleibt die Identifikation der einen oder anderen Örtlichkeit der Phantasie des Lesers überlassen. Und das war auch vor Dohnkes Buch schon so.

Seiner Kritik an bloßen Namens-agglomerationen in Reiseführern und Schleswig-Holsteiner Anthologien setzt Dohnke zwar einen neuen Ansatz entgegen, der aber auch nur regionale Tupfen anbietet. Auf 100 Seiten ist natürlich nicht viel Platz zum Ausschweifen. Doch Dohnkes Anspruch, die literarische Vielschichtigkeit abzubilden, ist entgegenzuhalten, daß manchmal weniger eben doch besser als Masse ankommt.

Kay Dohnke, Schleswig-Hol-stein literarisch, Verlang Boyens & Co., 24,80 Mark

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