Krisen und Energiesicherheit: Mehr über Jüterbog reden

Lasten und Nutzen der Ökotransformation sind regional ungleich verteilt. Statt über Verzicht sollte mehr über Fortschritt gesprochen werden.

Stromnetzleitungen

In den Schutz kritische Infrastruktur wie Stromnetze muss mehr investiert werden Foto: Ole Spata/dpa

Transformation und Sicherheit werden die beiden Hauptthemen des G20-Gipfels auf Bali in dieser Woche sein. Konflikte sind dabei vorgezeichnet, denn die Auffassungen darüber, welche Reaktion auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine erfolgen soll, sind unter den G20-Mitgliedern ebenso unterschiedlich ausgeprägt wie die Vorstellungen zu nachhaltiger Entwicklung.

Aber nicht nur auf der geopolitischen Spitzen­ebene spielen diese Themen eine wichtige Rolle. Beispiel Jüterbog bei Berlin: Die Gegend um die Kleinstadt ist flach, so dass die hoch aufragenden Kirchtürme einen weiten Blick ins Umland ermöglichen. Dieser wird unvermeidlich auf die vielen Windräder um den Ort herum gelenkt. Sie produzieren Strom, der die Abhängigkeit Deutschlands von Energieimporten verringert – und leisten dadurch einen kleinen Beitrag zu größerer Sicherheit. Stromhungrig ist jedoch in erster Linie nicht der ländliche Raum, sondern die nahe Großstadt. Lasten und Nutzen der Erzeugung von mehr Sicherheit sind also ungleich verteilt.

Dieser Befund ist auch für die Nationale Sicherheitsstrategie relevant, die im Koalitionsvertrag angekündigt ist; die Bundesregierung arbeitet zurzeit daran. Seit dem Frühjahr hatten Außen- und Verteidigungsministerin in mehreren Grundsatzreden den konzeptionellen Rahmen umrissen. Ein wichtiges Element dabei wird sein, die Verwundbarkeit Deutschlands zu verringern, die aus der Abhängigkeit von autoritären Regimen wie China und Russland resultiert – etwa mit Blick auf Energielieferungen, internationale Lieferketten oder die Entwicklung zukunftsträchtiger Technologien.

Stattdessen werden mehr Sicherheit und „Resilienz“ als Ziel ausgegeben. Mit Resilienz ist die Widerstandsfähigkeit von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft gemeint, die durch permanente Krisenbewältigung wachsendem Stress ausgesetzt sind. Von der Flucht- und Migrationskrise über die außen- und sicherheitspolitische Verunsicherung durch Brexit und Trump bis hin zur Pandemie, die ebenso wie der Überfall Russlands auf die Ukraine die Fragilität von Lieferketten sowie Versorgungsrisiken bloßlegte: In den vergangenen Jahren traten die Schwächen der nationalen Sicherungssysteme deutlich hervor. Teilweise ist Überforderung erkennbar, wenn beispielsweise der Bundeswehr angesichts der russischen Aggression eine mangelnde Fähigkeit zur Landesverteidigung attestiert wird.

Mehr Sicherheit hat jedoch ihren Preis, und größere Resilienz wird mit Verzicht verbunden sein, wie auch der Bundespräsident in seiner Grundsatzrede Ende Oktober meinte. Denn den Schutz kritischer Infrastruktur zu verbessern, also die Widerstandsfähigkeit beispielsweise von Strom- und Datennetzen oder der Wasser- und Lebensmittelversorgung gegen konventionelle wie auch unkonventionelle Angriffe zu erhöhen, macht enorme Investitionen nötig.

Dazu gehören etwa die für das Sondervermögen Bundeswehr vorgesehenen 100 Milliarden Euro. Insofern tangiert die Sicherheitsstrategie unmittelbar die Frage, wie und wofür staatliche Mittel künftig bevorzugt eingesetzt werden sollen – und damit geht es um die Verteilung von Lasten und Nutzen, nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern ebenso in sozialer und letztlich politischer Hinsicht.

Die Überzeugungskraft der Sicherheitsstrategie würde es daher stärken, wenn sie sich offensiv mit der Frage auseinandersetzt, wie eine gerechte Verteilung der Lasten aussehen kann, die mit mehr Sicherheit und Resilienz zwangsläufig verbunden ist. Und das betrifft zum Beispiel das erwähnte Ungleichgewicht zwischen Jüterbog und Berlin, was die Produktion und den Konsum von erneuerbarer Energie angeht.

Natürlich lässt sich der für mehr Resilienz notwendige Verzicht schlicht mit der größeren Sicherheit begründen, die daraus gesamtstaatlich erwachsen soll. Vorausschauender wäre jedoch die Verknüpfung dieser Argumentation mit einer Perspektive, die mehr Sicherheit und Resilienz in den Zusammenhang mit der ohnehin anstehenden sozialökologischen Transformation bringt.

Transformation ist nötig

Schließlich entscheidet sich die Zukunftsfähigkeit Deutschlands maßgeblich daran, inwieweit die Lebensgrundlagen nachfolgender Genera­tio­nen geschützt werden können. Bedroht werden diese durch die dramatischen Folgen menschlicher Eingriffe in die Ökosphäre, die zu Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Ressourcenübernutzung führen. Ohne nachhaltige Transformation wird die vom Bundesverfassungsgericht im sogenannten Klima-Urteil festgestellte Verpflichtung des Staats, die Freiheit künftiger Generationen sicherzustellen, kaum möglich sein.

Genau wie mehr Sicherheit und Resilienz geht auch die sozialökologische Transformation mit Verzicht einher, sodass sich die Frage nach gerechter Lastenteilung hier ebenso stellt. In der politischen Auseinandersetzung darüber, wo die staatlichen Prioritäten liegen sollten, könnten die beiden Ziele Sicherheit und Transformation jedoch leicht auf Kollisionskurs geraten – oder gar gegeneinander ausgespielt werden.

Gegen Niedergangserwartungen

Daher sollte die Nationale Sicherheitsstrategie Sicherheit und Resilienz zusammen mit Nachhaltigkeit in den Kontext der notwendigen Transformation stellen. Das könnte ihre öffentliche Akzeptanz erhöhen, wie während der verschiedenen Dialogformate deutlich wurde, in denen in den vergangenen Monaten deutschlandweit Bürgerinnen und Bürger mit Politik und Fachleuten über die Strategie diskutierten.

Aus der Verzichts- würde so eine Fortschrittserzählung werden, die die Belange kommender Generationen in den Blick nimmt, ohne in Schönfärberei zu verfallen. Sie könnte damit im besten Fall einen Gegenakzent zu den gesellschaftlich verbreiteten Niedergangserwartungen setzen, die den sozialen Zusammenhalt im Inneren und die Handlungsfähigkeit nach außen gefährden.

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ist stellver­tretender Leiter der Forschungs­gruppe Globale Fragen an der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin, die Bundes­regierung und Bundestag außen- und sicherheits­politisch berät.

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