Krise der WTO: Welthandel ohne Chef
Die Welthandelsorganisation steht ohne Chef da, die Staaten sind zerstritten wie nie. Selbst eine Zwischenlösung wird von den USA blockiert.
Über die Nachfolge von Azevêdo soll nach Angaben des Mitgliederrats im November entschieden werden. Handelsdiplomaten in Genf glauben nicht, dass die Entscheidung vor den US-Wahlen am 3. November fällt. Um den Posten bewerben sich Kandidatinnen und Kandidaten aus Ägypten, Großbritannien, Kenia, Mexiko, Moldau, Nigeria und Saudi-Arabien.
„Dies ist in der Tat ein neuer – wenn auch leider nicht unerwarteter – Tiefpunkt für die WTO“, sagte der kanadische Ökonom Rohinton Medhora, Präsident des Instituts Centre for International Governance Innovation. „Die Organisation ist seit einiger Zeit, genauer gesagt seit mehreren Jahren, richtungslos und wird nun funktional führungslos sein.“
Deutscher als Zwischenlösung?
Die Mehrheit der 164 Mitgliedsländer wollte dem Vernehmen den deutschen Vizegeneraldirektor Karl Brauner als Übergangschef einsetzen. Die USA wollten aber nur den amerikanischen Vize Alan Wolff akzeptieren. Mangels Einigung führen die insgesamt vier Stellvertreter die Geschäfte nun gemeinsam weiter. Neben Brauner und Wolff sind das Yonov Fred Agah aus Nigeria und Xiaozhun Yi aus China.
Abgesehen von den verheerenden Folgen der Coronakrise für den Welthandel steckt die Organisation selbst auch in der tiefsten Krise seit ihrer Gründung 1995. Sowohl der Graben zwischen den großen Handelsblöcken USA, China, EU als auch zwischen Industrie- und Entwicklungsländern wächst. Die USA blockieren zudem das zentrale Organ der Streitschlichtung bei Handelsdisputen. Sie sehen sich in der WTO unfair behandelt und verlangen Reformen, ohne konkret zu werden. US-Präsident Donald Trump hat mit dem Austritt gedroht.
Die WTO ist keine Weltpolizei, die den internationalen Handel reguliert. Es ist eine Regierungsorganisation, deren Mitglieder sich auf Regeln für den freien Welthandel geeinigt haben. Die Länder entscheiden im Konsens, und jede Regierung kann Einigungen mit einem Veto verhindern.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Rückzug von Marco Wanderwitz
Die Bedrohten
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül