KOMMENTAR: Krise, Krisenstab
■ Die Ohnmacht der Politik im Atomstaat
Was brauchen wir, wenn Schaden für „unser Volk“ droht? Natürlich den Krisenstab, die große Krisenkrücke! Das forderte Volker Hauff in der gestrigen Aussprache des Bundestages. Goldene Erinnerung und verantwortungsloses Veranwortungspathos: der Krisenstab, das heißt die totale Informationskontrolle gegenüber den Medien, wäre in der Tat die institutionelle Voraussetzung für ein Bewältigungskartell – mit Bauernopfer, Umorganisation von NUKEM und neuen Wucherungen von Kontrollinstanzen, die Otto Schily vorab zurecht als „neue Adressen von Bargeldcouverts“ bezeichnete. Nicht die Geheimhaltung der „verantwortlichen Politiker“, sondern die Entfesselung der kontrollierenden Öffentlichkeit kann nur noch helfen, wenn sich eine durch alle gesellschaftlichen Instanzen international verflochtene kriminelle Vereinigung abzeichnet. Was hat denn in dieser Affäre funktioniert?
Auch wenn man die Erschütterung der Bonner Politiker ernst nimmt, angesichts des Verdachtes, daß Atombombenmaterial aus dem bundesdeutschen Kreislauf nach Libyen und Pakistan geflossen ist, heißt das nicht nichts. Erschütterung ist da nur normal, schon in Erwartung des Strafgerichtes von seiten der verbündeten Supermacht. Töpfer will unter Umständen „tief schneiden“. Aber er muß schon von Amts wegen tiefer schneiden, als er angekündigt hat, wenn er das Atomgesetz anwenden will: für alle mit NUKEM verwickelten AKWs besteht der Verdacht, daß die „besondere Zuverlässigkeit“ nicht gegeben ist. Seit März 1987 ist bekannt, daß die Sicherheitsbeauftragten jener Werke geschmiert wurden. Dieses Detail mag genügen, um sich bewußt zu machen, daß die jetzige Hektik nur Teil der unendlichen Lähmung des politischen Apparates ist, wenn es heißt, auf die Kriminalität der Atomwirtschaft zu reagieren.
Warum diese Lähmung? Weil die Atomwirtschaft von Anfang an zusammen mit dem Atomstaat aufgebaut wurde, das heißt, weil die Geburtshelfer dieser Wirtschaft wußten, daß damit auch die rechtsstaatlichen Kontrollen außer Kraft gesetzt werden mußten. Die jahrzehntelange Verfilzung von Hanau und sozialdemokratischer Landesregierung in Hessen, die Praxis der dauerhaften Nicht-Genehmigung ist ein klassisches Beispiel dafür. Deswegen ist die Ankündigung von Töpfer, NUKEM werde umorganisiert, hohl. Er verspricht eine rechtsstaatlich kontrollierte Atomwirtschaft, ohne den Atomstaat zerschlagen zu wollen. Abzweigung von waffenfähigem Material entsteht nicht aus der Schwäche eines Abteilungsleiters im Nobel-Bordell. Das ist ein Geschäft größter Dimension, mit politischer Deckung, professioneller Geheimhaltung. Es geht nicht mehr um Einsicht, sondern um Anerkennung der Tatsache: friedliche und militärische Nutzung der Atomenergie lassen sich nicht trennen. Erst von diesem politischen Ausgangspunkt aus kann überhaupt eine politische Bewältigung der Affäre denkbar sein. Klaus Hartung
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