Kriminalisierung von Adbusting: Auf die linke Tour
Mit viel Aufwand verfolgen Behörden Adbusting – und legitimieren die Praxis, indem sie einen linksextremistischen Hintergrund konstruieren.
Verfassungsschutz, Polizei und Bundesregierung schaffen es seit Jahren nicht, insbesondere die nichtweiße Bevölkerung vor rechtem Terror und Alltagsgewalt zu schützen – der rassistische Anschlag in Hanau hat das gerade erst wieder gezeigt. Zugleich verfolgen dieselben Sicherheitsbehörden mit unverhältnismäßig hohem Aufwand gewaltfreie linke Protestformen. Das ergibt sich aus einer Kleinen parlamentarischen Anfrage der Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke (Linke), die der taz vorliegt.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und der Bundeswehrgeheimdienst MAD beschäftigen sich demnach systematisch mit Fällen von sogenanntem Adbusting, also dem kapitalismus- oder gesellschaftskritischen Überkleben von Werbeplakaten.
In der Vergangenheit richteten sich Adbusting-Aktionen vor allem gegen Sexismus, unverhältnismäßige Polizeigewalt sowie institutionellen Rassismus in Geheimdiensten und Bundeswehr. Laut Anfrage zählen Sicherheitsbehörden und Bundesregierung seit 2016 über 20 solcher Aktionen, die sie teilweise sogar „Tätergruppen“ mit Spaßnamen wie „Billboard Liberation Front Stadt Rixdorf“ zuordnen. Selbst das länderübergreifende Terrorabwehrzentrum (GETZ) sei mit 4 Fällen beschäftigt gewesen, in denen Plakate satirisch überklebt wurden.
Zur Erinnerung: Im Terrorabwehrzentrum stimmen sich Geheimdienste und Polizei der verschiedenen Bundesländer ab, um Anschläge zu verhindern. Gegründet wurde es explizit als Abwehrzentrum gegen rechts, nachdem der NSU aufgeflogen war. Wenig später wurden unter Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) die Kompetenzen in Richtung links ausgeweitet. Und so beschäftigt man sich dort wohl mittlerweile auch mit übermalten Werbeplakaten. Die Linke Jelpke kritisiert die Praxis als „lächerlich“ und überzogen.
In Berlin gab es mehrfach polizei- und geheimdienstkritische Adbusting-Aktionen, die sich an echte Werbekampagnen anlehnten. So klebten Aktivist:innen Plakate wie „Da für 5.003 Schlagstockeinsätze und die beste G20-Party. Da für Gewalt. Polizei Berlin.“, oder: „Rassismus schützen? Bewirb Dich beim Verfassungsschutz: Unsere Behörde wurde von Alt-Nazis gegründet.“
Vergangenen Oktober hatte auch ein Gerichtsverfahren in Berlin für Aufsehen gesorgt. Gleich mehrere Polizeidienststellen hatten umfangreich gegen eine Person wegen Adbusting und Werbeplakatdiebstahl ermittelt – sogar eine Hausdurchsuchung hatten Fahnder:innen in dem Fall trotz des mutmaßlich geringen Sachschadens erwirkt. Das Verfahren wegen fünf in Werbevitrinen ausgehängten Plakaten mit Sprüchen wie „Nazis essen heimlich Falafel“ wurde schließlich unter Auflage von 120 Sozialstunden eingestellt.
Allerdings warf dieser erste bekannte Prozess wegen Adbusting ein paar Fragen auf: Warum etwa führt der Verfassungsschutzbericht 2018 Adbusting im Kapitel „gewaltorientierter Linksextremismus“ auf? Wieso verfolgen Polizei und Geheimdienst derartige Vergehen mit einer solchen Akribie?
Die Kleine Anfrage der Linken gibt nun ein wenig Aufschluss: Bundesregierung und Verfassungsschutz verteidigen erstaunlicherweise die Einordnung von Adbusting im Bereich gewaltorientierter Linksextremismus.
Zwar sei Adbusting keine direkte Gewalt, auch seien bei den bekannt gewordenen Taten keine Personen zu Schaden gekommen. Dennoch führe man diese Aktionen unter „gewaltorientierter Linksextremismus“, „um den thematischen Zusammenhang zwischen Adbusting als strafbarer Aktionsform zur Diskreditierung der Vertreter des Staates durch Linksextremisten und gewaltsamen Aktionsformen zu wahren“, wie es heißt.
Die Antwort macht Staunen
Im Klartext heißt das: Verfassungsschutz und Bundesregierung konstruieren diesen Zusammenhang mit dem gewaltorientierten Linksextremismus einfach. Als Begründung reicht da bereits, dass die geäußerte Kritik „verallgemeinernd“ sei und über „sachliche Kritik“ hinausgehe.
Jelpke kommt angesichts dieser Antworten kaum raus aus dem Staunen: „Mit der Einstufung von Adbusting in den Bereich des ‚gewaltorientierten Linksextremismus‘ macht sich der Verfassungsschutz wieder einmal absolut lächerlich – und die Bundesregierung jetzt gleich mit.“
Thomas, Adbuster
Sie empfiehlt den Behörden, an ihrer Kritikfähigkeit zu arbeiten. Zumal Kritiker:innen an institutionellem Rassismus und unverhältnismäßiger Polizeigewalt nicht gleich gewaltorientierte Linksextremisten seien – so hatte die Linke ihre Anfrage auch begründet.
Amnesty International etwa kritisierte die überzogene Polizeigewalt beim G20-Gipfel. Die Europäische Kommission gegen Rassismus war besorgt über „diskriminierende Praktiken“ und „Racial Profiling“ der deutschen Polizei bei anlasslosen Personenkontrollen.
„Das BfV tut gerade so, als stelle die massive Kritik durch Adbusting blanken Terrorismus dar“, sagt Jelpke. Vielleicht „weil die Adbusting-Künstler ins Schwarze getroffen haben“.
„Es ist ganz herrlich, mit anzusehen, wie sich die Überwachungsbehörden hier lächerlich machen“, teilt ein Sprecher der Soligruppe Plakativ mit, der sich „Klaus Poster“ nennt. Ähnlich sieht das auch einer der Autoren des im Selbstverlag erschienenen Bildbands „Unerhört! Adbusting gegen die Gesamtscheiße“, der sich als Boris Buster vorstellt: „Die Überreaktion zeigt, wie Sicherheitsbehörden völlig die Maßstäbe verloren haben. Wir reden hier über Plakate und ein bisschen Kleber. Wir freuen uns sehr, wie diese minimalinvasive Protestform dermaßen ins Ziel trifft.“
Eine Person, die bei Adbusting-Aktionen gegen den Verfassungsschutz im Januar dabei war, stellt sich als Thomas vom Besonderen Amt für Veralberung vor. Er sagt: „Als Kommunikationsguerillero geht mir das Herz auf. Man sieht: Adbusting ärgert die wahnsinnig.“ Aber es könne einem auch schlecht werden: „Das wäre nicht mal uns als Satire eingefallen: Gerade ziehen Nazis mordend durchs Land, und die beschäftigen sich mit geklebten Postern.“
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