■ Bei den israelischen Wahlen geht es um eine fundamentale Entscheidung: Groß-Israel oder Versöhnung: Krieg und Frieden
Am kommenden Mittwoch werden die Israelis zum ersten Mal ihren Ministerpräsidenten direkt wählen, beinahe wie einen amerikanischen Präsidenten. Benjamin Netanyahu gegen Schimon Peres – zwei sehr verschiedene Persönlichkeiten, zwei Generationen, zwei Parteien. Aber es geht um sehr viel mehr. Offiziell sind es Wahlen. In Wirklichkeit ist es ein Volksentscheid.
Trotz der raffinierten Wahlpropaganda beider Seiten, die alles tun, um den Unterschied zwischen ihnen zu vertuschen, weiß jeder Israeli, daß es um die Wahl zwischen zwei diametral entgegengesetzten Weltanschauungen geht.
Wer Netanyahu wählt, stimmt gegen Oslo, gegen die Anerkennung des palästinensischen Volkes, gegen die Rückgabe der besetzten palästinensischen Gebiete und des Golans, für die Erweiterung der bestehenden Siedlungen und die Errichtung neuer. Das heißt: für Groß-Israel und gegen den Frieden.
Das stimmt, obwohl Netanyahu (allgemein „Bibi“ genannt) das Gegenteil behauptet. Sogar wenn er glauben würde, was er sagt. Sogar wenn er am Ende, vielleicht nach noch einem Krieg mit Syrien und noch einer palästinensischen Intifada, gezwungen wäre, das Gegenteil zu tun. Sogar wenn es ihm gelingen würde, das unglückselige Paar Scharon/Eytan loszuwerden. Sogar dann würde eine Stimme für Bibi eine Stimme gegen die Versöhnung sein. Denn die Verhandlungen würden sich – wie Netanyahus Vorgänger in der Likud-Führung, Jitzhak Schamir, es seinerzeit versprochen hat – über 20 Jahre hinziehen.
Wer Peres wählt, stimmt für Oslo: einen Prozeß, der unausweichlich zum Staat Palästina führen wird, mit einem Kompromiß in Jerusalem und dem Abbau von mindestens einem Teil der Siedlungen. Obwohl Peres das bestreitet. Sogar wenn er seinen eigenen Versprechungen glauben würde. Sogar wenn er zögert, stockt und manchmal auch rückwärts und zur Seite geht. Sogar wenn das alles stimmt – eine Stimme für Peres ist eine Stimme für den Frieden und die Versöhnung zwischen den beiden Völkern. Die grundlegende Verpflichtung seiner Partei und der Druck von innen und außen wird ihn zwingen, auf dem Weg zum Frieden vorwärtszukommen, egal, ob er es freiwillig tut oder dazu gedrängt werden muß.
Mittwoch abend um 23 Uhr mitteleuropäischer Zeit wird die ganze Welt mit Spannung das Resultat erwarten: Peres oder Netanyahu. Friede oder kein Friede. Eine klare Entscheidung.
Wer den Wahlkampf verfolgt, kommt allerdings kaum auf die Idee, daß eine fundamentale Richtungsentscheidung ansteht. Beide Parteien benutzen dieselben Parolen. Bibi spricht endlos über den „sicheren Frieden“, Peres doziert über „Sicherheit und Frieden“. Sogar die Porträts der Kandidaten ähneln sich.
Was die beiden großen Parteien nicht sagen, ist bei weitem interessanter als das, was sie sagen. Der Likud erwähnt die Siedler mit keinem Wort. Sie sind einfach verschwunden. Die Arbeiterpartei ihrerseits hat Arafat vergessen. Er ist einfach nicht mehr da. Wenn Peres im Fernsehen sich des Friedens rühmen will, zeigt er sich händeschüttelnd mit König Hussein. Der Friede mit dem jordanischen König ist populär, denn er kostet nichts (nur die Amerikaner haben ein paar hundert Millionen Dollar hergegeben). Der Friede mit den Palästinensern ist teuer, und viele hassen Arafat noch immer. Also ist er nicht da.
Vielleicht werden die Wahlen am Ende von einer Handvoll von islamischen Terroristen entschieden. Ein einziger islamischer Selbstmörder, der einen Bus in Jerusalem in die Luft sprengt, vermag Bibi an die Macht zu bringen. So wartet man mit wachsender Spannung auf den letzten Tag. Werden die islamischen Terroristen Bibi (eine Bombe) oder Peres (keine Bombe) wählen?
Dies zeigt, daß es in Wirklichkeit um das Palästinaproblem geht. Der Likud wirft Peres vor, daß er Jerusalem „teilen“ will. (Keiner will Jerusalem teilen. Sogar die Palästinenser wollen, daß das ungeteilte Jerusalem die gemeinsame Hauptstadt Palästinas und Israels wird.) Peres bestreitet das wütend – Jerusalem soll „für alle Ewigkeit“ die alleinige Hauptstadt Israels bleiben. Der Likud behauptet auch, daß Peres einen Palästinastaat will. Das bestreitet Peres weniger wütend und spricht über eine „Trennung“, nach der „wir hier, sie dort“ leben werden.
„Trennung“ ist populär. Nach den letzten Terroranschlägen in Israel hat sich dies im Volksbewußtsein durchgesetzt: „Sollen sie ihren Staat haben, dann sind wir sie los.“ Keine sehr positive Haltung, aber doch gut genug, um den entscheidenden Schritt zum Palästinastaat zu ermöglichen. Darauf stützt sich Peres, ohne das schreckliche Wort – „Palästinastaat“ – selbst in den Mund zu nehmen.
Falls Peres an der Macht bleibt, fragt sich, ob er eine religiöse Partei in seine Koalition einbeziehen wird. Anders als Rabin, der für die Religiösen nichts übrig hatte, sehnt sich Peres nach einem religiösen Partner. Die große Gefahr ist, daß er die National-Religiöse Partei (Mafdal), die Partei der extremen Siedler, in seine Koalition holt. Hinter den Kulissen scheint sich so etwas schon anzubahnen. Jossi Beilin, von Rabin „Peres' Pudel“ genannt, früher Obertaube der Arbeiterpartei, hat schon ein halbgeheimes Abkommen mit den Siedlern ausgeknobelt: Ein Palästinastaat wird zwar geduldet werden, aber große Gebiete des Westjordanlandes werden von Israel annektiert. Es handelt sich um 15 Prozent der besetzten Gebiete, in denen 75 Prozent der Siedler leben. Peres hofft, den Palästinensern diese Lösung aufzuzwingen, vielleicht als „Gebietstausch“ retuschiert.
Mittlerweile hat sich herausgestellt, daß in den vier Jahren der Arbeiterpartei-Meretz-Regierung mehr Geld in die Siedlungen gesteckt worden ist als in den Jahren der Likud-Regierung. Unter Rabin und Peres ist dort mehr gebaut worden als unter Begin und Schamir. Das wurde mehr oder weniger geheimgehalten und war möglich, weil der „gemäßigte Flügel“ der Friedensbewegung, darunter „Frieden jetzt“ (Schalon Achschaw), stillschweigend zusah, um sein Bündnis mit der Arbeiterpartei nicht auflösen zu müssen. Meretz, die linke zionistische Koalitionspartnerin der Arbeiterpartei, wird ihre Mittäterschaft schwer zu büßen haben – Meinungsumfragen prophezeien, daß sie ein Drittel ihrer Stimmen verlieren wird.
Wahrscheinlich wird Peres knapp gewinnen. Aber damit fängt der Kampf um den Frieden erst an. Uri Avnery
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen