piwik no script img

Krieg und Frieden in Kabul

Solange Dollar, Rubel und Afghanis im Geldbasar noch rollen, ist Kabul nicht verloren / Die Hauptstadt Afghanistans zur waffenstarrenden Festung ausgebautNoch konnten die Mudjahedin die von der Roten Armee verlassenen Städte nicht einnehmen / Feilschen um die Stammesführer  ■  Aus Kabul Mostafa Danesch

Der Krieg am Hindukusch geht weiter. Kaum zu entdecken hocken die islamischen Mujahedin in den Bergen und beschießen unaufhörlich die noch in Afghanistan verbliebenen sowjetischen Soldaten und deren afghanische Verbündete. Hubschrauber, Panzer und Flugzeuge bekämpfen diesen unsichtbaren Gegner. Doch der will seinen „Heiligen Krieg“ nicht beenden, solange noch sowjetische Soldaten in Afghanistan stehen und die Regierung in Kabul nicht gestürzt ist.

Kaum waren die sowjetischen Truppen aus der Provinzhauptstadt Kunduz nahe der sowjetischen Grenze abgezogen, stürmten die Mujaheddin die Stadt. Zwei Tage dauerte das Ringen, dann erst hatten Kabuls Truppen die Stadt zurückerobert. Das war am 14.August.

Der Kampf um die Provinz Kunduz ist noch nicht zu Ende, die Folgen aber sind verheerend. „Gott soll sie strafen! Sie haben alles zerstört, was wir hatten“, sagt mir ein alter Mann in Kunduz. „Wenn dies der Heilige Krieg ist, wollen wir keine Mujaheddin. Rauben, plündern, vergewaltigen und zerstören - wahre Moslems tun so etwas nicht anderen Moslems an.“

Ist das alles nur kommunistische Propaganda? Schwer zu glauben, wenn man es selbst gesehen hat. Das Volk sehnt sich zwar nach Frieden, aber nicht um diesen Preis.

Auf die Schwäche der afghanischen Armee in den Kämpfen um Kunduz angesprochen, gibt Generalmajor Sacharow, politischer Chef der sowjetischen Streitkräfte in Afghanistan, zu, daß Fehler gemacht wurden. Aber er fügt hinzu: „Ihr Ausländer wollt immer die Kampfkraft der afghanischen Armee in schlechtem Licht darstellen. Aber denkt mal darüber nach: Jalalabad, Assadabad, Kandahar, überall sind wir abgezogen und überall hat Kabul die Kontrolle behalten. Aber jeder verliert mal eine Schlacht, den Krieg wird Kabul nicht verlieren.“

Aussöhnung

noch ohne Erfolge

Die Politik der nationalen Aussöhnung mit der bewaffneten Opposition des Präsidenten Najibullah hat bislang wenig sichtbare Erfolge gezeitigt.

Kein bekannter Vertreter der Opposition, kein Führer der Mudjahedin hat sich bis heute bereit gezeigt, mit der regierung Najibullahs zu kooperieren oder gar in die Regierung einzutreten. Stabsquartiere der Mudjahedin können weiterhin in Pakistan schalten und walten.

Über 150 Zentren und Ausbildungslager der Freischärlergruppen existieren ungehindert in verschiedenen Ortschaften Pakistans, hauptsächlich im nordwestlichen Grenzgebiet. Von Pakistan aus befördern die Freischärler nach wie vor modernste Waffen - Stinger-Raketen, Lenkgeschosse der „Milano„-Klasse sowie Geschütze, Raketen und Granatwerfer mit größerer Reichweite - nach Afghanistan, und dies alles gegen die Vereinbarungen des Genfer Vertrages vom März diesen Jahres.

Unmittelbar vor der Unterzeichnung des Genfer Abkommens stellten die USA 300 Millionen Dollar für die Mudjahedin bereit. Ungefähr die gleiche Summe kam auch aus Saudi -Arabien.

Die USA planen, in diesem Jahr insgesamt eine Milliarde Dollar der kabulfeindlichen „Allianz der Sieben“ zukommen zu lassen. Dies alles bedeutet aber keineswegs, daß der Sieg der Mudjahedin bevorstünde oder der Fall der Hauptstadt Kabul nur eine Frage der Zeit wäre. Die Pläne der radikalsten der fundamentalistischen Mudjahedin, Hulbuddin Hekmatjars, sofort nach dem Abzug der sowjetischen Truppen die Städte Jalalabad und Kandahar im Handumdrehen zu erobern, dort eine Regierung auf der Basis der „Allianz“ aufzustellen und weiter auf Kabul zu marschieren, sind bis heute keine Wirklichkeit geworden.

Festung Kabul

Die Stadt Kabul liegt auf einer trockenen Hochebene, 1.800 Meter über dem Meeresspiegel - umgeben von einem Kranz hoher Berge. Ihr Stadtkern ist klein - ihre Ausdehnung riesig. Die Häuser der Wohlhabenden sind eingebettet in Grün. Die Häuser der Armen kriechen die wasserlosen Berge empor.

Vor zehn Jahren hatte Kabul 800.000 Einwohner, heute leben dort fast drei Millionen. Die Berge um Kabul sind gespickt mit Horchposten und bewaffneten Forts. Kabul selbst ist eine waffenstarrende Festung, die von Einheiten der afghanischen und sowjetischen Armee geschützt wird. Über der afghanischen Hauptstadt liegt die Glocke sowjetischer und afghanischer Flugwaffen, und gegen die geballten sowjetisch-afghanischen Einheiten hilft auch die Stinger-Rakete nicht.

Wer diese Stadt erobern will, muß - unbekannt oder mit Gewalt - die riesigen Wüstenlandschaften jenseits der Berge durchqueren. „Wir fürchten ständig die Angriffe der Feinde und feuern pausenlos in die Berge, um sie abzuschrecken“, offenbart mir ein afghanischer Soldat. Die Mudjahedin kommen oft in der Nacht, wenn sie das Geschehen beherrschen, und machen den Regierungstruppen das Leben schwer. Auf den nahegelegenen Hügeln und Bergen bilden die sowjetischen Soldaten den ersten Verteidigungsring um Kabul.

Mit einem gepanzerten Mannschaftswagen fahre ich zu einer der Festungen der Sowjets in Kargha, 20 Kilometer nördlich von Kabul. Aus allen Sowjetrepubliken sind in jenem Fort Soldaten stationiert. Usbeken, Ukrainer, Tadschiken und Russen. Sie sind seit Monaten in Afghanistan und warten sehnlichst auf die Rückkehr in die Heimat.

Die mehr als 100 Soldaten und Offiziere auf diesem sowjetischen Posten rechnen jeden Moment mit Angriffen der Mudjahedin. Es gibt kaum Ruhepausen. Die Soldaten hasten an ihre Geschütze, zu eingegrabenen Panzern und ausgebauten Stellungen. Aus vollen Rohren feuern sie ins vor ihnen liegende, heiß umkämpfte Paghman-Tal, das bereits öfter von den Mudjahedin kontrolliert wurde. Die islamischen Gotteskrieger gönnen den Soldaten kaum Ruhe. Nicht auszudenken, daß man noch zuletzt was abkriegen könnte.

Allseits umworbene

Stammesfürsten

Zwei Toyotas bahnen sich ihren Weg durch das Straßengewühl der afghanischen Hauptstadt. Die Insassen sehen wild aus: traditionelle Afghanentracht, Bärte und sowjetische Kalaschnikows. Einer von ihnen ist Gholam Rassul, ein ehemaliger Rebellenführer. Er kämpfte bis vor kurzem auf Seiten der Mudjahedin gegen die Regierung in Kabul und ihre sowjetischen Unterstützer, bis er mit 5.000 Mann seiner wilden Krieger die Fronten wechselte.

Die Wagen steuern auf ein kleines Geschäft zu. Es sieht aus wie bei einem Überfall. Bewaffnete Männer springen aus den Toyotas und entsichern ihre Maschinenpistolen. Einige stehen vor dem Eingang des Ladens als Sicherheitsposten, während ihr Häuptling den Laden betritt.

Die Bevölkerung nimmt von dem Geschehen kaum Notiz. Dies ist ihr Alltag. Doch das Geschäft soll nicht geplündert werden. Gholam Rassul will lediglich einkaufen. So wird ein einfacher Einkauf zur militärischen Operation. Der ehemalige Mudjahedin-Führer wagt sich heute nur schwerbewaffnet an die Öffentlichkeit. Er fürchtet Racheakte seiner ehemaligen Brüder. Der Feind - bis vor kurzem noch Verbündeter - kann überall lauern.

„Man hatte mir erzählt, in Afghanistan herrsche der Atheismus und unser heiliger Koran sei in Gefahr. Also dachte ich, daß ich als Märtyrer mein Leben für meine Religion einsetzen müßte. Bald bemerkte ich jedoch, daß ich einen großen Fehler gemacht hatte“, sagt Gholam Rassul, „daher wechselte ich auf die Seite der Regierung.“ Mehrere Millionen der Landeswährung Afghani kostet es die Regierung monatlich, Gholam Rassul bei der Stange zu halten. Dafür will er die Region um Herat für die Regierung kontrollieren. Dort kann Rassul schalten und walten, wie er will.

Wie ein kleiner König erhebt er Wegezoll für alle Fahrzeuge und Maultierkarawanen. Und auch am Schmuggel ist er beteiligt. Für Rassul ist entscheidend, wer für seine Interessen zur Zeit am nützlichsten ist. Und diese Interessen messen sich weniger in politischen Zielen als in Geld, Einflußgebieten und Macht.

Gestern sicherten diese Interessen die Mudjahedin, heute die Regierung, und morgen kann dies wieder anders sein. Entscheidend sind nicht alleine die staatlichen Strukturen, sondern auch die traditionellen Stammesführer, jahrhundertealte persönliche Loyalitäten und Rivalitäten. Um die Loyalität solcher Stammesführer wie Gholam Rassul kämpfen beide kriegsführenden Seiten, die islamischen Rebellen und die Regierung Najibullahs.

Bevölkerung wartet ab

Die Bevölkerung von Kabul nimmt die Dinge um sie herum mit stoischer Gelassenheit. Der Mann auf der Straße glaubt sowieso, daß nicht die Regierung oder die Mudjahedin über sein Schicksal entscheiden, sondern einzig und allein Allah. Furcht verbreiten lediglich die Raketen- und Bombenanschläge der Mudjahedin, die regelmäßig in Wohnvierteln landen.

Seit Juli beschießen die Mudjahedin Kabul immer heftiger mit Raketen. Mit den Raketenangriffen soll eine Atmosphäre von Unsicherheit geschaffen werden, in der Militärs desertieren, Beamte zittern und die Bevölkerung sich der Regierung entfremden soll. „Die Rakete kam abends um sechs“, erzählt mir ein alter weinender Mann, der seine Frau und zwei Töchter verloren hat. „Ich stand im Hof, als die Rakete mein Haus zerstörte und meine Frau und meine Töchter zerstückelte. Ich habe Jahrzehnte hier geschuftet, und jetzt ist mein Leben zerstört. Ihr sollt lieber an die Front gehen, um uns zu schützen“, klagt er die Soldaten an, die herumstehen.

Noch drei Tage nach diesem Raketenangriff graben die Bewohner verschüttete Reste ihrer armseligen Habe aus. Gläser und Schüsseln, die die Detonation überstanden haben, werden sorgfältig geborgen.

Der Boom des Geldbasars

Im Basar wird währenddessen gehandelt und gefeilscht wie eh und je. Kabuls Händler können importieren und exportieren, was sie wollen. Keine Regierungsvorschriften hemmen den Handel und Wandel. Wer Geld hat, kauft, was er nur kaufen kann an westlichen Konsum-Gütern, von Rolex-Uhren bis zu japanischen Stereoanlagen.

Die Warenversorgung der Drei-Millionen-Stadt Kabul funktioniert erstaunlich gut.

Der seit mehr als vier Monaten als Ministerpräsident einer „Koalitionsregierung“ amtierende Hassan Scharg verspricht der Privatwirtschaft, die 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet, die umfassende Hilfe seiner Regierung. „Die Händler und Basaris können jede notwendige Hilfe von der Regierung erwarten, und die Banken stellen ihnen umfassende Möglichkeiten zur Verfügung.“

Die notwendigen Devisen besorgen sich die Händler und Kaufleute jedoch im Geldbasar von Kabul. Das beste Stimmungsbarometer ist der Geldbasar, den indische Sikhs unter Kontrolle halten. Hier werden Dollar gegen indische Rupien, D-Mark gegen Afghanis, Rubel gegen iranische Rial eingetauscht. Bilder, die selbst in den reichsten Städten der Erde rar sein dürften: Banknotenbündel, hochaufgetürmt auf den Ladentischen, und Kunden, die Bargeld säckeweise von Trägern dorthin schleppen lassen - Kabuls Börse, nationale Reserve-Bank, Wechselstube und soziales Chaos in einem.

Tausend und mehr Händler und Schieber, Geschäftsleute und Makler halten hier der Welt seltsamsten Devisenmarkt in Gang. Hier holt man sich Devisen als Teppichhändler, Waffenschieber, Privatmann, und sogar die Regierung verschafft sich hier ihre Devisen.

Das Rubel-Spiel

Die Regierung schätzt, daß auf dem Geld-Basar täglich mehr als acht Millionen Dollar umgesetzt werden, das sind zwei Drittel des afghanischen Exportgeschäfts. Der Erfog des Geld -Basars liegt im besonderen Außenhandelssystem Afghanistans begründet. 60 Prozent des Außenhandels wird mit der Sowjetunion und den anderen sozialistischen Staaten abgewickelt. Auf der Basis eines Clearing-Dollar mit dem Kurs von 51 Afghanis. Auf dem Geld-Basar ist der Clearing -Dollar viermal soviel wert. Ein Diplomat aus Kabul: „Können Sie sich die Kosten vorstellen, wenn wir gezwungen wären, diese Importe zu bezahlen nach dem Weltmarktkurs des Dollars?“

Die Händler tätigen in ihren Verschlägen alle Geschäfte in der Manier internationaler Banken: Vom Ankauf ausländischer persönlicher Schecks bis zur Eröffnung von Akkreditiven. Die afghanische Regierung hat die Kontrolle über die Devisenwirtschaft verloren, also bleibt ihr nichts anderes übrig, als den privaten Handel zu dulden.

Eingeständnis des Handelsministers Jalalar: „Der Geldbasar spielt eine wesentliche Rolle in unserer Wirtschaft. Er ist eine wichtige Institution und wird von der Regierung genehmigt.“ Kein Wunder, daß der Kabuler Geldbasar den Genfer Vertrag mit mißtrauischen Augen sieht. Frieden würde den Afghani aufwerten und die gehorteten Dollar im Wert fallen lassen. „Dann werden viele von uns ruiniert sein“, flüstert mir ein Devisenspekulant ins Ohr. Es herrscht noch Gelassenheit auf dem Kabuler Geldbasar; der Dollar steht, der Afghani fällt. Ein Ende des Krieges wird hier nicht erwartet. Und solange der Basar rotiert und Kabul nicht von innen zusammenbricht, mögen sie recht behalten.

Konzessionen

gegenüber dem Islam

Um den Willen der Mudjahedin zum weiteren Kampf gegen die Regierung zu brechen und sie für eine nationale Koalitionsregierung zu gewinnen, wirbt Präsident Najibullah ständig um die Gunst der Gotteskrieger.Vieles, was der Revolutionsregierung in Kabul heilig war, soll nicht mehr gelten. Die Bodenreform wurde rückgängig, den moslemischen Würdenträgern gegenüber werden große Konzessionen gemacht, und zum ersten Mal in der Geschichte Afghanistans wurde der Islam als Staatsreligion in der Verfassung verankert. „Alles, was wir tun, liegt im Sinne des moslemischen Volkes“, glaubt Najibullah, dessen Sinnen und Trachten nunmehr auf „Versöhnung und friedlichen Kompromiß“ geht.

Der „Heldenfriedhof“ auf einem Hügel in Kabul ist ein verwirrendes Mahnmal dieses Krieges, gleichzeitig ein Zeichen der tiefen Wunden, die dieser Krieg hinterlassen hat. Dort liegen die 40.000 Parteisoldaten und Funktionäre der Regierung, die im Kampf gegen die Mudjahedin gefallen sind. Wo die Gräber der nach zehntausenden zählenden Toten ihrer Gegner liegen, ist unbekannt. Unter diesen Vorzeichen ist es sehr schwer, eine Aussöhnung zur erreichen.

Najibullah zeigt sich in unserem Gespräch optimistisch. Er habe alles getan und werde auch weiterhin alles tun, um die Opposition an den Verhandlungstisch zu bringen. Sein größter Wunsch sei die Verwirklichung des Friedens in Afghanistan. Doch sollte die Opposition den Krieg und den Brudermord weiter fordern, „ist die afghanische Armee, wie sie wiederholt bewiesen hat, in der Lage, sich zu verteidigen“, resümierte er.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen