: „Krieg ist dumm und gemein“
In den neuen Bundesländern hatten Friedensdemonstrationen zu Ostern in diesem Jahr mehr Zulauf als im Westen/ Auch wenn sich alles ändert: Ostern bleibt zentraler Aktionstermin ■ Aus Bremen Klaus Wolschner
Vorsichtshalber war in Bremen in diesem Jahr kein Ostermarsch, also keine Demonstration, sondern nur eine „Mahnwache“, eine Kundgebung und eine Fahrradtour angesagt. Wochenlanges Tauziehen um einzelne Formulierungen des Ostermarsch-Aufrufes bereiteten in früheren Jahren spektakuläre Großereignisse vor, die Auswahl der Rednerinnen und Redner und der zentralen Parolen war ein Kompromiß der verfeindeten Fraktionen der Friedensbewegung — nichts davon mehr nach dem Ende des Kalten Krieges.
In Bremen bestimmte in diesem Jahr die Evangelische Frauenhilfe das Bild, jeder konnte sich einbringen, jeder war willkommen, wenn er nur kam.
Seit elf Jahren stehen die engagierten Frauen, die Männer durchaus nicht ausschließen wollen, jeden Donnerstag in Bremen wie auch in anderen Städten auf dem Marktplatz und mahnen: gegen die Atomwaffen, gegen das Wettrüsten, gegen den Hunger in der Welt, dann gegen den Golfkrieg und gegen Ausländerfeindlichkeit. „Wir stehen hier im elften Jahr“, erklärte eine der tragenden Kräfte, Ursula Barloschky, am Ostersamstag den etwa achtzig Menschen, die, gut unter Regenschirmen geschützt, zur Kundgebung gekommen waren.
Gegen die schleichende Unsicherheit, ob es denn Sinn macht, das jahrelange stete Mahnen, hat die Frauenhilfe „Das weiche Wasser bricht den Stein“ auf ihre Pappschilder gemalt. „Das System des Kapitalismus scheint gesiegt zu haben über den Sozialismus“, sagt die Rednerin, die Formulierung läßt wie ein guter Minimalkonsens verschiedene Interpretationen offen. Das „System des Kapitalismus“ rüstet aber weiter, der Jäger 90 ist in Bonn weiter Thema.
Die evangelischen Frauen haben sich immer schon mit dem Verhältnis zur Dritten Welt beschäftigt: „Bananen sind weit billiger als heimische Äpfel — da stimmt doch etwas nicht“, erklärte die Evangelische Frauenhilfe denen, die im Regen über den Platz eilen und in ihren Plastiktüten den Wochenendeinkauf wegschleppen. Die Rednerin appelliert an die „Reichen“, ihren Reichtum zu teilen.
Zum ersten Mal durfte Prof. Jens Scheer, der überregional bekannte Atomphysiker und Kritiker auch der sowjetischen Atomanlagen, auf einem Ostermarsch in Bremen reden. Alle Atomanlagen müssen stillgelegt werden, „und zwar nicht irgendwann, sondern sofort“, fordert er.
Der evangelische Pfarrer Louis- Ferdinand von Zobeltitz gehört zu denen, die auch früher schon beim Ostermarsch mitredeten. „Die Welt ist unübersichtlicher geworden“, sagt er, und dann formuliert er den ständigen Konsens dieser Ostermarsch-Demonstranten: „Krieg ist dumm und gemein.“ Er begrüßt ausdrücklich das Engagement von Jens Scheer und sagt dann aber, „noch in diesem Jahrhundert“ müßten alle Atomkraftwerke abgeschaltet werden. Die Teilnehmer an dieser Kundgebung waren zufrieden, daß trotz des schlechten Wetters so viele gekommen waren.
Aktionen in Ost und West
In mehr als 150 Städten und Gemeinden des Bundesgebietes haben sich nach Schätzungen der Veranstalter rund 25.000 Menschen an den traditionellen Ostermärschen beteiligt. Bei einer geringeren Teilnehmerzahl als in den Vorjahren hatten die Kundgebungen in den neuen Bundesländern größeren Zulauf als in Westdeutschland.
In Sachsen-Anhalt beteiligten sich am Samstag mehr als 2.000 Menschen an einer Abschlußkundgebung für die zivile Nutzung des Truppenübungsplatzes Colwitz-Letzlinger Heide. Auch in Thüringen demonstrierten mehrere tausend Menschen für den Frieden. Die Bundestagsabgeordnete Vera Wollenberger (Bündnis 90/Grüne) erklärte in Ohrdruf, Thüringen müsse das erste Land ohne Truppenübungsplätze werden.
Mehr als 1.000 Menschen demonstrierten nach Angaben des Ostermarschbüros auf Rügen für eine „Entmilitarisierung“ der Insel. Zu den zentralen Forderungen zählte die Vernichtung aller Massenvernichtungswaffen, das Verbot von Rüstungsproduktion und von Einsätzen der Bundeswehr im Ausland sowie die Solidarität mit Flüchtlingen und Asylbewerbern. Nach Ansicht des Netzwerkes Friedenskooperative werden sich die Aktionen der Friedensbewegung auch in künftigen Jahren in Form und Inhalt von den traditionellen Ostermärschen weiter entfernen. „Ostern wird aber ein Aktionstermin bleiben.“
Geistiger Vater der Bewegung der Ostermärsche ist der britische Philosoph Bertrand Russell. Am 4. April 1958, einem Karfreitag, versammelten sich auf dem Trafalgar Square in London unter seiner Regie etwa 10.000 Menschen. In der Bundesrepublik wurde eine solche Kampagne nach britischem Vorbild erstmals 1960 organisiert.
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