Krieg in Sudan: Ungewisser Zufluchtsort am Nil
Tausende Menschen fliehen vor dem Krieg nach Wad Madani, 150 Kilometer südlich von Khartum. Dort steigen die Preise für Grundnahrungsmittel rapide.
Eigentlich war es der erste Tag des Zuckerfests, mit dem Muslim:innen weltweit das Ende des Fastenmonats Ramadan feiern. Doch wie für viele andere Menschen im Sudan fiel das Fest für ihn in diesem Jahr aus. Stattdessen floh er aus der Hauptstadt Khartum, in der trotz einer 72-stündigen Waffenruhe weiter gekämpft wird.
Wad Madani ist eine schöne Stadt, durchzogen vom Blauen Nil, umgeben von Baumwollfeldern und landwirtschaftlichen Betrieben. Die Stadt mit circa 350.000 Einwohner:innen gilt als eher konservativ und verschlafen. Die Menschen kennen sich hier, neue Gesichter fallen auf. So war das zumindest bis vor Kurzem. Bevor Tausende von Menschen in die Stadt kamen, auf der Flucht vor dem Krieg in Khartum.
Denn Wad Madani ist die Hauptstadt des Bundesstaates al-Dschazira im süd-östlichen Zentrum des Landes. Al-Dschazira grenzt im Süden an Khartum. Von dort bis nach Wad Madani sind es etwa 150 Kilometer. Seit Tagen fliehen die Menschen aus der Hauptstadt nach al-Dschazira, viele kommen bis nach Wad Madani. Sie sind mit dem dem Auto, mit Bussen oder zu Fuß unterwegs. „Es ist wie ein großer Umzug“, berichtet Mohamed, der mit Freunden aus Khartum geflohen ist: „Überall sind Busse. In einer Reihe fahren sie aus Khartum in die anderen Staaten. Und viele Menschen gehen zu Fuß, wirklich viele!“
Derzeit wird eine Schule vorbereitet
Wer Familie in Wad Madani oder anderen Orten des Bundesstaates hat, flieht dorthin. Doch auch viele Menschen ohne Verwandte kommen in die Stadt. Die Einwohner:innen öffnen dafür ihre Häuser, unvermietete Wohnungen werden bereitgestellt. Derzeit wird eine Schule vorbereitet, in der Menschen aufgenommen werden sollen.
Für viele Menschen ist es ein erster Zufluchtsort. „Ich fühle mich hier sicher nach den Nächten des Terrors und den lauten Geräuschen der Schusswaffen und Luftwaffen“, sagt Mohamed Osman, der ebenfalls aus Khartum geflohen ist. Viele nutzen den Ort um sich zu erholen, sich zu sortieren und zu planen, wie es weitergeht. So ist die Stadt zum Durchzugsort geworden.
Einige möchten an das Rote Meer nach Port Sudan, um dann von dort mit dem Schiff nach Saudi-Arabien überzusetzen. Andere planen von hier ihre Weiterreise nach Äthiopien oder Südsudan. Auch Ägypten ist ein Wunschziel vieler, doch das zu erreichen wird immer schwieriger. Zwar sind die Grenzen noch offen, aber seit Beginn des Krieges haben sich die Preise für alles vervielfacht, vor allem für den öffentlichen Transport.
Das Busticket kostet das sechsfache
Hatte ein Ticket mit dem Bus von Khartum nach Madani zuvor 5.000 sudanesische Pfund gekostet, das sind ungefähr 7,50 Euro, kostet es mittlerweile das Sechsfache: 30.000 Pfund. Die Kosten für den Bus an die ägyptische Grenze sollen nun bei über 160.000 Pfund liegen, das sind über 250 Euro. Das können sich nur wenige Menschen leisten in einem Land, in dem das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen bei 1,25 Dollar am Tag liegt.
Auch psychisch haben die Menschen zu kämpfen. „Ich bin traurig und es tut mir leid für mein Land. Ich fühle mich hilflos“, sagt Marwan, der mit seiner Familie nach Wad Madani gekommen ist. Schlimmer aber sei es für seine Eltern: „Sie sind traurig, dass sie das Haus verlassen mussten.“ Eigentlich möchten sie Sudan nicht verlassen, aber sie sehen kein Ende der Kämpfe in Sicht. Sie überlegen deshalb, sich auf den Weg nach Ägypten zu machen.
Gehen oder bleiben?
„Ich habe Angst davor, dass Internationale eingreifen. Dann haben wir einen Bürgerkrieg. Das kennen wir von anderen Ländern “, erklärt Marwan, der befürchtet, dass sich der Krieg zu einem regionalen Konflikt ausweitet. Deshalb stellen sich die Menschen in Khartum die Frage: Gehen oder bleiben? Zu gehen bedeutet eine Flucht ins Ungewisse: Wie sollen sie sich ein neues Leben aufbauen? Wie sollen sie sich finanzieren? Zu bleiben ist jedoch ebenso unsicher.
Denn nicht nur die Transportkosten steigen rapide. In Wad Madani wird das Leben immer teurer. Laut der Norwegischen Flüchtlingshilfe sind die Preise für Grundnahrungsmittel um 40 bis 100 Prozent gestiegen. Und schon jetzt gibt es eine Benzinknappheit. Benzin wird deshalb teuer auf dem Schwarzmarkt verkauft. Viele Banken haben mittlerweile landesweit geschlossen, es gibt immer weniger Bargeld im Land. Durch die ständigen Internetstörungen ist auch das Bezahlen mit Onlinefunktionen schwierig.
„Die Supermarktregale sind schon halb leer. Und wir wissen, wir können nichts von den anderen Bundesstaaten importieren. Wenn der Vorrat alle ist, dann gibt es eine Hungersnot“, beschreibt eine Anwohnerin die Lage vor Ort. Es ist nur eine Frage der Zeit bis sich eine Versorgungskrise einstellt.
Mohamed Osman möchte Sudan nicht verlassen: „Ich liebe mein Land, und ich will lieber hier sterben, als weiter zu fliehen.“ Er hat aber noch Hoffnung. Für ihn liegt es jetzt an der internationalen Gemeinschaft so schnell wie möglich zu helfen. „Ich wünsche mir ernsthafte Versuche, die Konfliktpartner zur Verhandlung zu bringen und eine friedliche Lösung zu finden.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Antisemitismus in Berlin
Höchststand gemessen