: Krieg der Worte
■ Die Amerikaner reden sich ins historische Abseits
Washington denkt nach. Immer noch. Weder die berühmte Bilanz nach 100 Tagen im Amt noch die mit Spannung erwartete erste grundsätzliche außenpolitische Rede Bushs geben viel her. Dem neuen Präsidenten fehlen eben die Visionen, Entwürfe, ja der Mut, klagen die liberalen Kommentatoren - „that vision thing“ nennt das Bush selbst abfällig. Während die amerikanische Öffentlichkeit, wie jüngste Umfragen beweisen, im Laufe des letzten Jahres mehrheitlich Sympathien für Michail Gorbatschow und seine Reformpolitik entwickelte, brütet ihre Führung immer noch über einer Konzeption von Außenpolitik, die den Rhythmus der Geschichte um jeden Preis diktieren will. Bevor man sich vom vertrauten Kalten Krieg verabschiedet, will man „Gorbatschow vom Fenster blasen“. Dessen Vorwurf, der Westen denke zu wenig konstruktiv über die eigene, „andere“ Zukunft, trifft ins Schwarze. Und das tut weh. Jeden Tag ist das Gebell aus Washington zu hören.
Dem Tun Gorbatschows antwortet ein Macho-Ton. In das konzeptionelle Vakuum der USA fließt rhetorische Gewalt. Wer genau auf die Worte achtet, die jeden Tag durch die Medien gejagt werden, dem stehen die Haare zu Berg: Hier spricht superiorer Geist, fundamentalistisches Sendungsbewußtsein. Wir dulden keinen Zweiten neben uns. So wie Bush den Gegner Dukakis im Wahlkampf rhetorisch zu vernichten suchte, so läßt er nun seine Mannen im „Public-Relation-Krieg“ gegen „die Russen“ antreten. „Wir werden sie testen und immer wieder testen„, sagte Außenminister Baker kurz vor seinem jüngsten Besuch in Moskau. Die USA als globale Stiftung Warentest. Und: Man werde den Sowjets dann eine gleichberechtigte Rolle bei der Lösung von Regionalkonflikten anbieten, „wenn die Sowjets ernstzunehmende Partner werden wollen, die uns nicht stören“.
Nachdem Verteidigungsminister Cheney mehrmals laut und lustvoll über ein unterstelltes Scheitern der Perestroika nachdachte, nimmt sich der Sprecher des Weißen Hauses Fitzwater nun die jüngsten Gorbatschow-Initiativen vor. Alles nur PR-Schachzüge, der Mann sei ein „drugstore cowboy“, ein Aufschneider, der einen Abrüstungsvorschlag nach dem anderen hinlege, die sich als Bluff entpuppten. Das war die offizielle Antwort der amerikanischen Regierung auf Gorbatschows Brief, wonach die Waffenlieferungen an Nicaragua eingestellt worden seien. „Wir müssen zuhören und überprüfen, anstatt dumme Witze zu machen“, ist die Minimalforderung kritischer Kongreß-Abgeordneter. Reagans Reich des Bösen wird von der Bush-Administration zum Reich der Idioten und Schwätzer umfunktioniert.
Allein - je mehr die Bush-Administration poltert, desto mehr Sympathien wird Gorbatschow weltweit gewinnen. Die Zukunft gehört ihm. Bush will den Sowjets nur den „modernisierten“ Status quo servieren, die „Rückkehr in die Weltordnung“. Was bleibt Gorbatschow da anderes als Entrüstung!
Andrea Seibel
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