■ Diseuse, Chanteuse? Sarah Mac Lachlan kann, frei nach Oscar Wilde, allem widerstehen außer einer Versuchung: den großen Gefühlen Von Anke Westphal: Kreuzzüglerin der Liebe
Sarah Mac Lachlan zeigt sich in ihren Liedern fast nackt — und gibt sich doch nie ganz preis. So bleibt der Kanadierin mehr als eine Spur von Geheimnis. Sie hat das Zeug zu einer Tragödin.
Landrose im Stadtmoose
„If I shead a tear, I won't cage it./ If I won't fear love./ If I feel a rage, I won't deny it./ I won't fear love.“ (Sarah Mac Lachlan, „Fumbling towards ecstasy“)
Da steht sie also, Gitarre bei Fuß, und sieht direkt ungeheuerlich gesund aus. Volles Gesicht, runde Apfelbäckchen, ein Teint wie 3,8prozentige Vollmilch und Biohonig – sagt man nicht so ähnlich? Dazu noch dieses bedenkliche Strahlen des Glücks in den – ohne Zweifel berückenden – Haselnußaugen. Hatte man sich doch anders vorgestellt, eine Frau, die mit ihren Gefühlen Frisbee spielt, jedem hergelaufenen Teilzeitromantiker den Zutritt zu ihren innersten heiligsten Tempeln gewährt und also praktisch nackt dasteht vor der Welt. Die Chose dann mit voller Wucht zurückbekommt...
Ach nein, so wirkt Sarah Mac Lachlan nun nicht gerade. Geschätzte 65 Kilo. Schaut so das Leiden hin zum Höheren aus? Es fehlt doch entschieden das Ätherische, latent Engelhafte, Sublimierte, gewissermaßen Schwebende, wie man es zum Beispiel an Fiona Apple – auch eine erstklassig singende Tempelherrin – ausmachen kann. Bei der kommt sich der gefühlige Hörer nicht veräppelt vor.
Klapperdünn ist sie – man nennt es zart. Für regelrecht anorektisch würde man das Mädel halten, wenn man es nicht besser wüßte. Und dann Fionas riesige Augen! Das tief Empfundene, das Leiden am Gefühl, die Neigung hin zur Vergeistigung des seelischen Leidens hat sein Objekt, pardon Subjekt gefälligst zu verfeinern – und das sichtbar. Schließlich hat man seinen „Zauberberg“ gelesen. Gut, das kann man für die Ästhetik einer Neurasthenikerin und Misanthropin halten.
Und doch: Mac Lachlans Haare – Göttin! Wo sind die kringeligen, warmkupfernen Locken geblieben, praktisch der Burgfräuleinbeweis, mit dem alle Empfindsamkeit beginnt und endet? Die, nur am Rande, Loreena McKennitt in eine quasi multikombinierte Mittelalterorientromantik, ein herzbezüglich ideales Zeitalter also, beamen. Da steht Sarah Mac Lachlan also, Haare fast ganz ab. „Sleek urban look“ nennt man das im besten aller Magazine, der amerikanischen Vogue, und dann auch noch Gel. Puh. Gerade mal, daß Mac Lachlans Kleid aus schwarzem Samt ist. Aber selbst da: ein ärmelloses Ding. Blöde neue Sachlichkeit.
Rose und Diseu(o)se
„Frauen, welche Brillen tragen / nähern Männer sich mit Zagen.“ (Dorothy Parker)
Sarah Mac Lachlan ist Sängerin, Texterin und Komponistin dazu, aber nicht einfach eine Pop/Rock-und-Hosen-an!- Sängerin wie Joan Osborne oder Meredith Brooks. Mac Lachlan ist auch nicht „nur“ eine der vielen weiblich bekennenden Poeten, die nach Kurt Cobains Suizid die Mikrophone übernahmen, als müßten sie Gegenbeweise von Fragilität liefern. Nein, die Kanadierin soll eine „Chanteuse“ sein, manchmal auch „Diseuse“. Die Plattenfirma gibt es einem schriftlich.
Chanteuse, Sängerin – das klingt korrekt. Aber Diseuse (laut „Duden“: Vortragskünstlerin)? Da denkt man doch an Edith Piaf oder, wer die nicht kennt, an Céline Dion oder auch nur Mariah Carey. Sind die Begriffe, auf Mac Lachlan angewandt, nun Lob oder Beleidigung? Was bedeuten sie überhaupt, musikalisch, strukturell, modemäßig? Madonna zum Beispiel ist weder Chanteuse noch Diseuse, sondern einfach „Ikone“; es gibt dicke Bücher darüber.
Eine Chanteuse aber handelt mit der Großartigkeit des Gefühls und seiner Gesten, so etwas wie ein nonchristlicher, aber religiöser Liebeskreuzweg. Eine Diseuse ist Großartigkeit des Gefühls. Jede große Bluessängerin war auch eine Diseuse, und jede große Diseuse hat den Blues. Es kann so banal sein: Die Chanteuse, wenn sie das Zeug zur Diseuse hat, erlebt konkret und singt allgemein. Die Transformation empfindet das Publikum als eine tragische und glamouröse Einsamkeit der Diseuse, an der teilzuhaben es sich durch Plattenkauf und Konzertbesuch befleißigt.
Eine Chanteuse scheint zwar die Inneneinrichtung ihres Herzenstempels vor das Publikum zu werfen wie Perlen vor die Säue, aber sie macht den ganz großen Auftritt daraus, mit glitzernder Robe, Chanel „Vamp“ Nail Polish an den Ohren und Diamanten auf den Nägeln. (Oder war's umgekehrt?) Sie führt so etwas wie eine Hypergala des Narzißmus samt seiner Absonderungen auf. Als da sind Tränen, gebrochenes Herz, die Lust am Selbstmord beziehungsweise gediegenen Einkauf.
Der Trick besteht in der Verpackung von Aufzuführendem und sich Aufführender. Die, tja, Chantiseuse präsentiert sich, als läge die Seele gar nicht nackt, denn eine Frau (ach, was heißt hier Frau – Dame!), die ihre Erscheinung so aristokratisch, so delikat entwirft und perfekt koordiniert, wird alles überwinden, erst recht etwas so Lumpiges wie die melancholische Psyche, auch wenn sie sich zu diesem Behufe erst in dieselbe verbeißen muß.
(Eine Möchtegerndiseuse wie Mariah Carey, glaube ich, tut nur so, als hätte sie Perlen, die sie vor Säue werfen könnte.) Yvette Guilbert war häßlich, groß, mager, aber beispielhaft exzentrisch, wenn sie herumzeterte und sang. Immer ein gelbes Kleid, immer lange schwarze Handschuhe. Fritzi Massary wurde auch mit bescheidenem Stimmvolumen zur „Operettenkaiserin von Berlin“, denn sie blieb ihr Leben lang geheimnisvoll und unerreichbar elegant. Marlene Dietrich hatte Augenlider, die erstklassig auf Halbmast gehievt waren, und ihre Beine. Der Herbst sei der Frühling des Jahres für die Treibhausblüten unter den Menschen, schrieb Djuna Barnes, nachdem sie Yvette Guilbert begegnet war. Chanteusen, Diseusen. Und Sarah Mac Lachlan?
Die Pose der Rose
„Muß ich für immer mit meinem Löffel auf das Tischtuch schlagen? Soll ich nicht auch zustimmen?“ (Virginia Woolf)
Sarah Mac Lachlan meint, wenn sie von guter Musik spricht, „introspektive, sensible Musik“. Unter dem ganz Großen, dem reinsten Empfinden, der quälendsten Selbsterforschung hat Mac Lachlan es bisher auch nicht getan – ihre Alben beweisen es allesamt. Nach Sommern des Erfolgs, die sich zu nie enden wollenden Tourneen verlängerten, hatte sie eine Schreibblockade, die so abgrundtief ausfiel, daß eine Therapie nötig wurde.
„Surfacing“, Mac Lachlans neue CD, ist das Ergebnis dieser Wehen. Als Ausdruck des „Bekanntwerdens mit dem eigenen häßlichen Selbst“ scheint die Produktion dennoch eine ziemlich ausgeruhte Angelegenheit – Balladen, Songs und leise Lieder. Nur manchmal, wie in „I love you“, läßt Mac Lachlan ihre feine Stimme in einem Zuviel an Hintergrund, an Melodie und Instrumente, versinken und auftauchen wie in und aus tiefem Schlaf. Immer wieder große, fast zu kosmische Gefühle, die untergehen, aber auch überleben wollen.
Man kann eine Rolle sein. Man kann eine Rolle singen, wie in der Oper; man kann sie aber auch anziehen. Man kann alles zugleich tun – die Rolle sein, singen und anziehen. Im letzteren Fall macht man sich heutzutage entweder lächerlich oder zur Diva; es hängt einzig von der Alchemie zwischen der Person und ihren Mitteln ab. Man kann natürlich auch eine Rolle singen und dazu – hin und wieder oder ständig – eine andere Rolle anziehen. Wie Sarah Mac Lachlan. Nackt ist man ja nie, nicht einmal, wenn man nackt ist. Sarah Mac Lachlan sowieso nicht.
Warum? „Through this world I've stumbled so many times betrayed/ Trying to find an honest word; to find the truth enslaved“ („Possession“). Alles herzuzeigen, die ganze Seele, sich durch „Offenheit und Geradlinigkeit emotional in die Schußlinie zu begeben“, wie es über Mac Lachlan heißt, kurzum: Alle Gefühle, alle Freude und allen Schmerz mitzuteilen, ist die Gegenstrategie zu einer Existenz, die nichts von sich herzeigen will oder möglichst wenig. Nicht unbedingt mit dem Ziel, kryptisch zu bleiben, aber doch unverwundbar zu werden, vielleicht sogar unwiderlegbar.
Sarah Mac Lachlan hat zwei Dinge von sich behauptet. Zum einen, daß sie nichts Vernünftiges zustande brächte, wenn sie sich nicht gut geerdet fühlt. Zum anderen, „emotional extrem bedürftig zu sein“, wofür sie sich nicht schäme – es sei nun mal ehrlich. Und doch muß Mac Lachlan ein raffiniertes Biest sein, weil in jedem Ding sein Gegenteil nun mal bereits enthalten ist. Wer alles herzeigt, verhüllt alles. Nennen wir es eine majestätische Indifferenz. „Ja, ein Leben für einen selbst ist köstlich... Für andere von Nutzen sein ist furchtbar“ (Ivy Compton-Burnett). Das Praktische am Komplexen ist, daß man es fröhlich in Wohlgefallen auflösen kann.
Pose (der Rose) in der Dose
„Manche Menschen haben die Veranlagung, gern zu heiraten. Sie entschließen sich leicht dazu und heiraten dann von Zeit zu Zeit.“ (Annemarie Selenko)
Popularität kann man zählen, Berühmtheit auch. Den Magazinen Time, Entertainment Weekly und Billboard war Sarah Mac Lachlan schon mal ein Cover wert. Da tröstet: Eine Chantiseuse hat ein Leben. „There is a beauty in just being sad“, hat Mac Lachlan zwar einmal behauptet, ein Satz, den Anmut und Melancholie edel zieren. Sie dürfte bei aller gebeichteten Labilität dennoch kein Einzelkind von Traurigkeit sein. Sagte die Frau doch, nachdem sie (schwups – und wieder ein neuer Song!) ihren Keyboarder verlassen hatte, im Februar in Anwesenheit einer Amtsperson „Ja“ zu ihrem Drummer Ashwin Sood. Die Idee kam ihr – wenn man einer Aufrichtigen, Ehrlichen, Offenen denn Glauben schenken darf – auf Jamaica, als sie sich mit Ash nackt (Hello, Erdung!) unter Palmen sonnte.
Seither, so Mac Lachlan, denke sie „jeden Tag an ein Baby“. Dennoch fand die 29jährige Zeit, Lilith Fair auf den Plan zu rufen – eine Musiktournee, die nur von Frauen bestritten wurde und – an Mainstreammaßstäben gemessen – unerwartet erfolgreich war. Und das, obwohl ihre Teilnehmerinnen (u.a. Sheryl Crow, Fiona Apple, Suzanne Vega, Jewel, Shawn Colvin, die Indigo Girls) anfangs von den Medien als „Vulvapalooza“ verlacht wurden.
Hat eine Chantiseuse etwa keine geistesschlichte Rechtfertigungen nötig? Aber das nur nebenbei. Die Lilith-Tour lief im Sommer und war Mac Lachlan zufolge kein ganz selbstloses Projekt – sie habe auch ihre Sehnsucht „nach einer Gemeinschaft“ inszenieren wollen. Dazu kam das Erscheinen von „Surfacing“. Es war alles vielleicht ein bißchen viel.
„Surfacing“ weist ein hörbares Defizit auf: Eine schöne Ballade, die von allzu vielen anderen schönen Balladen umgeben ist, büßt nun mal gewaltig an Eindruck ein. Nennen wir diesen für Mac Lachlan überraschenden Mangel an Überraschungen eine leichte Strukturschwäche. Das beschriebene Defizit läßt sich einfach kompensieren, indem man sich nur einen neuen Mac-Lachlan-Song alle zwei Tage gönnt. Ein solches Vorgehen entspräche schließlich auch der Pflicht, die eine Chanteuse, eine Diseuse zu erfüllen hat. „Wenn ich mir eine einzige Haarsträhne ausreiße, soll das sein, als risse ich sie mir alle aus; wenn ich nur ein einziges Mal den Kopf schüttele, soll es sein, als nehme irgendeine Hand die gesamte Menschheit bei den Handgelenken und schüttele sie auf alle Zeiten aus dem Leben heraus“ – so jedenfalls Yvette Guilbert vor 80 Jahren.
Und deswegen begibt es sich auch immer wieder, daß die Chanteuse gänzlich nackt dasteht und doch vollkommen beschirmt. Wie Sarah Mac Lachlan.
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