: Kreuzweg der Lockerung
■ Cecilia Bartoli brauchte in der Musikhalle einige Zeit bis zum Rausch
Sie ist etwas voller geworden seit ihrem letzten Hamburgauftritt vor anderthalb Jahren. Aber das lange Haar fällt immer noch barock über ein schwarz glänzendes Satinkleid. Cecilia Bartoli ist nun auch schon 28. In letzter Zeit ist es stiller geworden um das Stimmwunderkind aus Belcanto-Land, sie tritt schließlich selten in Opernproduktionen auf, sie tourt lieber mit Liedern und Arien.
Diesmal ein durchweg französisches Programm. Die Musik ist schön, die Sprache klingt, als ob Hunde jaulen, schimpfte Mozart. Cecilia Bartoli sang Bizet, zwei Liebeslieder, eines heroisch, eines lyrisch, der Pianodeckel geschlossen. Noch immer trägt eine kehlig dunkle Färbung diese Stimme, noch immer ist sie sauber geführt, zart im Kopfstimmenbereich, weite Melodiebögen bewältigt sie, dank gut sitzenden Timbres, leicht. In der „Tarantelle“ die ersten Koloraturen, es geht um das Flattern eines Schmetterlings um eine Blume. In den Liedern von Pauline Viardot danach wieder der Hinweis: Ich kann nicht nur mit Koloraturen brillieren! In „Hai luli“ zeigt sie ihr Können im Poetischen, im Pianissimo-Bereich nicht ganz so bruchlos und dynamisch wie beim letzten Mal. Bei Berlioz' „Zaide“ begleitet sie sich mit Kastanetten, wirkt gehemmt, ihrer Wirkung nicht sicher.
Nach der Pause mit Ravels vier wunderbaren Liedern im Volkston vierer Länder befreit sie sich, kommt schließlich zu ihrer Stärke: Rossini. Im Lied von der Kokotte ist sie ganz freche Bravour, in „L'ame délaissée“ wird sie wieder lyrisch, ihr Timbre endlich mädchenhaft, im „Bolero“ nach Metastasios Text singt sie rhythmisch forciert, kraftvoll, nicht mühelos; hörbar jetzt endlich auch, ein wie guter Begleiter der Koreaner Myung-Whun Chung ist. In „Nacqui all'affanno“ aus Cenerentola schließlich ist alles – in der Melancholie wie in den Verzierungen – aus italienischem Charme. Fünf Zugaben, die Beifallsstürme lockern sie weiter, Familienväter knipsen sie wie Pennäler, ergraute Personalchefs reichen ihr schüchtern Rosenbuketts, sie schüttelt Hände. Schließlich ihr Glanzstück, „Non pui mesta“, Hamburg ist glücklich. Gut gesättigt rauscht Signorina Bartoli endgültig hinaus.
Stefan Siegert
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