: Kreuze, Türme - und Autos über Autos
■ Berlin als Hauptstadt: ein Science- fiction-Alptraum aus der Fünfziger- Jahre-Schublade . Wie sich Brandt und Adenauer ihre Metropole erträumen ließen
Mitte. Hoch über den Autobahnkreuzen lustwandelt die künftige Hauptstadtberlinerin auf quergezogenen Fußgängerbrücken zwischen glasstählernen Bürotürmen, die die Wolken durchstechen. Schräg unter sich erblickt sie die konservierten, musealen Reste der ehemaligen Altstadt. Im Hintergrund funkelt weiß die Villenkolonie der Diplomaten aller Länder in den gepflegten Restbeständen des ehemaligen Tiergartens. Der Spreebogen ist zum Regierungsviertel ausgebaut, schwarzgekleidete Wachmannschaften patrouillieren zwischen dem aufgeputzem Reichstag und den neuerrichteten Betonmassen des Verteidigungsministeriums und des Auswärtigen Amtes, das quer über die Regierungsallee angelegt wurde, vormals Unter den Linden. Im Untergrund brodeln dreistöckig U- und S-Bahn, noch weiter drunten schwappt die Kanalisation und grummeln die dicken Röhren der Fernwärme leise vor sich hin.
Keine Science-fiction und keine Vision aus dem Momperschen Küchenkabinett - sondern Berliner Stadtplanung der fünfziger Jahre, die erst lange nach dem Mauerbau ad acta gelegt wurde. Um Berlin als Hauptstadt zu rüsten, riefen 1955 Bundeskanzler Adenauer und Berlins Regierender Willy Brandt Architekten aller Länder zu einem „internationalen Wettbewerb“ auf, um „sinnvoll wieder zusammenzufügen, was sinnlos auseinandergerissen wurde“, und im „weiteren Auf und Ausbau unserer Stadt Fehlplanungen vorzubeugen“, wie Willy Brandt schrieb.
Über 150 Ideen trudelten bei Berlins legendärem Bausenator Rolf Schwedler ein, dem Senator, der später immerhin die Stadtautobahn, die Gropiusstadt und das Märkische Viertel bauen ließ. Während sich sein Urenkel Wolfgang Nagel heute nur mit der Bauverwaltung begnügen muß, hatte Schwedler auch die Stadtentwicklung und Verkehrsplanung unter sich. Seine Macht überschätzen wohl auch diejenigen der Architekten nicht, die darauf hinwiesen, zur Verwirklichung ihres Entwurfs müsse man „nur noch“ die rechtlichen Grundlagen entsprechend ändern.
„Das neue Herz der Weltstadt wird befreit sein von dem ungeordneten Durcheinander von Verwaltungs-, Kultur-, Geschäfts-, Arbeits-, und Wohnbauten“, meinte Schwedler in seinem Vorwort und: Die neue Ordnung der City solle den Bedürfnissen „der Wirtschaft, des Verkehrs und auch der Menschen Rechnung tragen“. In dieser Reihenfolge. Vorgegeben war den Architekten, welche Regierungsmassen in der alten Hauptstadt Platz finden müssen: der Staatspräsident, der sich im Schloß Bellevue wohnlich einrichten sollte, das Parlamentsgebäude, der Amtssitz des Kanzlers, Räumlichkeiten für die Kammern der Bundesländer, für die Ministerien und die nachgeordneten Behörden, etwa fünfzig diplomatische Vertretungen des Auslandes - wobei empfohlen wurde, die vorhandenen Gebäude am Tiergartenrand mit einzubeziehen -, Vertretungen der Bundesländer, Häuser für die Parteien, ein Berliner Rathaus, Senatsverwaltungen und ein Polizeipräsidium. Dazu geplant werden sollten zahlreiche kulturelle Einrichtungen, darunter eine „Universität einschließlich Bibliothek für 10.000 Studenten“, die heutigen Ansprüchen wohl nicht mehr genügen dürfte, Museen, Theater, Galerien und nicht zuletzt ein Haus der Presse, um die „Zusammenarbeit zwischen Presse, Regierung und Parlament zu fördern“.
Noch monströser gedacht war die Verkehrsplanung. Dort, wo heute das bescheidene Häuschen unserer tageszeitung steht, hätte sich die Südtangente der Stadtautobahn erstreckt - bis hin zu dem berühmten Autobahnkreuz zum Oranienplatz. Von dort hätte sich die Osttangente hochgezogen, weitere Autobahnkreuze in Prenzlauer Berg und am nördlichen Tiergartenrand hätten die Nord- und die Westtangente verknüpft. Die Friedrichstraße und die Straße des 17.Juni sollten kreuzungsfrei ausgebaut werden, die Funktionen des Potsdamer und des Lehrter Personenbahnhofs nach weiter draußen verlagert werden. Zwei neue S-Bahn-Linien waren angedacht: eine vom Anhalter zum Görlitzer Bahnhof unter der Koch- und Oranienstraße durch, eine weitere entlang der späteren - Mauer vom Potsdamer Platz Richtung Norden. Auch zwei neue U-Bahn-Linien gehörten zum Konzept: Eine vom Alexanderplatz bis zur Siemensstadt, die andere von Weißensee bis Steglitz.
Hauptstadt Berlin: Ob uns dies langfristig wirklich erspart bleibt, ist die Frage. Die Planung ist in den Schubladen verschwunden, nicht jedoch das alte Denken aus allen Köpfen. So darf man in den Räumen der Senatsbauverwaltung eine jüngst eröffnete Ausstellung besichtigen, die sich mit Turmhäusern am Humboldthafen schmückt: Angesichts einer möglichen Ansiedlung von Regierungsverwaltungen, wie es dort heißt.
Eva Schweitzer
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