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Krenz-Urteil hat Bestand

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte akzeptiert die Verurteilung des ehemaligen DDR-Staatschefs Egon Krenz wegen seiner Verantwortung für die Mauertoten. Die Richter des Europarates sahen keine Rückwirkung von Strafgesetzen

von CHRISTIAN RATH

Egon Krenz und seine Anhänger werden in Zukunft das Wort „Siegerjustiz“ nicht mehr so einfach in den Mund nehmen können. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg erklärte gestern, dass die nach der Wende erfolgte strafrechtliche Aufarbeitung des ostdeutschen Grenzregimes rechtsstaatlich in Ordnung war.

Geklagt hatten in Straßburg Egon Krenz, der letzte Staatschef der DDR, sowie der ehemalige Verteidigungsminister Heinz Keßler und sein damaliger Vize Fritz Streletz. Die drei waren zu Haftstrafen zwischen fünfeinhalb und siebeneinhalb Jahren verurteilt worden. In einem parallelen Verfahren hatte sich außerdem auch ein Soldat, der wegen eines 1972 erfolgten Todesschusses zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war, an das Gericht des Europarates gewandt. Alle vier monierten, die deutsche Justiz habe das Verbot von rückwirkenden Strafgesetzen missachtet, obwohl es in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantiert ist.

Die Klagen hatten keinerlei Erfolg. Einstimmig entschieden die 17 Richter, dass die Verurteilung von Krenz, Keßler und Streletz nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstieß. Sie folgten damit der vom deutschen Justizministerium vertretenen Linie, dass die Gerichte nach der Wende nur das Recht der DDR angewandt und „rechtsstaatlich“ interpretiert hätten. Auch in der DDR war demnach die Tötung von Menschen verboten und das dortige Grenzgesetz konnte keinen Schießbefehl rechtfertigen. Immerhin sei im DDR-Grenzgesetz, so argumentierte nun auch der EGMR, das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und der Schutz menschlichen Lebens beim Schusswaffengebrauch anerkannt gewesen.

„Man kann den Gerichten des demokratischen Nachfolgestaates nicht vorwerfen, dass sie die gesetzlichen Bestimmungen, die zur Tatzeit galten, im Lichte rechtsstaatlicher Prinzipien anwenden und auslegen“, lautet der zentrale Satz des Straßburger Urteils. Dass das Grenzgesetz in der Staatspraxis der DDR anders verstanden wurde, spielte in Straßburg deshalb keine Rolle. Für Krenz und Co. sei „die Strafbarkeit der Handlungen nach dem innerstaatlichen Recht der DDR hinlänglich erkennbar und vorhersehbar“ gewesen.

Im Falle des Grenzsoldaten W. tat sich der EGMR etwas schwerer, doch auch dessen Verurteilung wurde mit 14 zu 3 Stimmen akzeptiert. Der Gerichtshof betonte, dass „selbst ein einfacher Soldat sich nicht blind auf Befehle berufen kann“. Die „besonders schwierige Lage“ der Soldaten sei von der deutschen Justiz aber durch Gewährung mildernder Umstände anerkannt worden.

Blamiert sind nun aber nicht nur die erfolglosen Kläger, sondern auch diejenigen in Deutschland, die das DDR-Recht gar nicht anwenden wollten. So hatte etwa das Bundesverfassungsgericht 1996 (gegen den Wortlaut des Grundgesetzes) faktisch eine Durchbrechung des Rückwirkungsverbots akzeptiert, weil das Grenzgesetz der DDR in seiner praktischen Anwendung „schwerstes materielles Unrecht“ gewesen sei.

Egon Krenz muss nun seine sechseinhalbjährige Freiheitsstrafe weiter absitzen. Er beschuldigte die europäischen Richter, nicht wirklich unparteisch gewesen zu sein: „Das Gewicht Deutschlands in Europa war stärker als die Menschenrechtskonvention“. Krenz spielte auf Geldsorgen des EGMR an, der dringend mehr Mitarbeiter benötigt und im Moment auf das Wohlwollen der europäischen Regierungen besonders angewiesen ist. Allerdings gehören dem Europarat neben Deutschland noch 42 andere west- und osteuropäische Regierungen an.

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