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Kratzen wird Geschrei

■ Die Choreographin Rica Blunck über Käfige, Improvisation und die Zusammenarbeit von COAX mit dem Neubauten-Schlagzeuger F. M. Einheit

„Man sollte alte Bühnenbilder immer wegwerfen“, murmelt der Bühnentechniker auf Kampnagel mit leichtem Schmunzeln. Er meint einen Käfig, fünf mal fünf Meter, arg verbeult. Doch die Choreographin Rica Blunck läßt sich nicht verunsichern: In dem alten Käfig soll wieder getanzt werden. Wieder – denn hier zwischen den Stäben jagten sich schon einmal die Tänzerinnen und Tänzer der Gruppe COAX. Vor sechs Jahren gab die Hamburger Gruppe ihr Debüt. Mit ihren animalischen Bewegungen und den über Tonabnehmer verstärkten Geräuscheffekten zogen sie sich schnell eine Fan-Gemeinde zu.

Nach einer kurzzeitigen Auflösung der Gruppe im letzten Jahr ist die Choreographin und Tänzerin Rica Blunck jetzt wieder da. Sie will in ihrem derzeitigen Projekt den Käfig betanzen, einmal im Monat, mit wechselnden Darstellern. „Ich hatte irre Lust, mal was Experimentelles zu machen,“ räsoniert Blunck. Seit fünf Jahren mache ich Stücke, an denen ich nach der Premiere noch ein bis zwei Monate feile, und dann gehen sie auf Tournee. Dann bin ich auf der Bühne nur noch eingeschränkt spontan.“

In sechs Etappen wird sich COAX nun in improvisierter Form fortschreiben. Den Anfang machen Rica Blunck und Karin Lechner, begleitet von den Musikern F. M. Einheit und Alex Hacke, die mit den Einstürzenden Neubauten bekannt wurden. „Ich kenne F. M. Einheit, seitdem ich fünfzehn bin“, meint Blunck. „Ich halte ihn für einen der besten Musiker Deutschlands, vor allem als Theatermusiker.“ Der Schlagzeuger wird die Käfig-Geräusche durch Effektgeräte jagen und auf einem Drahtseil spielen, das über den Käfig gespannt ist. Im Resultat klingt ein Kratzen gigantisch wie ein Schrei. Momentan proben die Tänzerinnen täglich, um dann schneller auf die Musiker reagieren zu können. Nicht alles wird der Improvisationslaune überlassen bleiben, denn, so Rica Blunck: „Wir brauchen ein paar Absprachen. Wenn man in einem 5x5-Meter-Käfig so richtig loslegt, haut man sich die Birne ein, vor allem, wenn man sich so bewegt, wie wir es tun. Wenn man dann noch zu zweit ist, muß man sich darauf konzentrieren, daß man sich nicht schlägt.“

Die zweite Etappe des Käfig-Experiments folgt dann im August. Vier Choreographen sollen jeweils 10 Minuten Zeit haben, um ihre eigene Auseinandersetzung mit dem sperrigen Eisenmonstrum zu demonstrieren. Jan Pusch, Angela Guerreiro, Victoria Hauke und Rica Blunck selbst haben vorher zwei Wochen, um hineinzukriechen und ihre Phantasie zu erforschen. Dieses Projekt ist ungewöhnlich für Hamburg, denn in Hamburg besteht, laut Blunck, das Problem, daß sich alle immer nur ums Geld streiten. „Da wollte ich mal mit den anderen Choreographen zusammenarbeiten.“

Im September schließlich wird das Publikum selbst zum Akteur und kann per Computer oder per Handzeichen das Programm wählen: Welcher Tänzer soll es sein? Welche Stimmung? Welche Musik? Über drei Stunden kann jeder sich so eine eigene kleine Choreographie zusammenstellen und mit dem Bierglas in der Hand ums Geschehen wandern. Und wenn der Herbst beginnt, folgt die erste Premiere der neugegründeten COAX-Truppe. Rica Blunck zieht sich dann als Tänzerin zurück und choreographiert nur noch; vier neue Tänzer sind bereits im Ensemble. Ganz ohne Maschinen werden sie auch dann nicht auskommen.

Gabriele Wittmann Sa, 29. Juli, Fabrik, 20 Uhr

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