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„Kratzen Sie nicht ab!“

■ Umweltsenator Strieder feiert den Erfolg der Aktion „Sauberes Berlin“ und beklagt zugleich ein „fehlendes Problembewusstsein“: „Fünf bis sieben Prozent der Berliner tun, was sie wollen“

Mit den Dreckspatzen der Hauptstadt verhält es sich wie mit den Langfingern. Steigt die Zahl der ertappten Bösewichte, kann das im Grunde zweierlei bedeuten: dass die Moral sinkt oder die Aufklärungsrate steigt. Mit 70 Millionen Mark an Vandalismusschäden und Müll, bilanzierte gestern Umweltsenator Peter Strieder (SPD), sei Berlin keine Stadt der Saubermänner.

Gestiegenes Umweltbewusstsein, vor allem aber die Aktion „Saubere Stadt“ sowie die Initiative „Berlin, es ist unsere Stadt“ hätten dazu geführt, dass seit März 1997 mehr als 6.300 Anzeigen gegen Farbschmierer eingegangen und über 1.400 Personen festgenommen seien. Darüber hinaus hätten sich rund 30 Bürgerinitiativen gegründet, um sich für ein besseres Umfeld in ihren Stadtteilen einzusetzen.

Nachdem vor zweieinhalb Jahren sowohl die Justiz- und Innen-, als auch Umweltverwaltung die „Aktion saubere Stadt“ aus der Tasche zauberten, hatte sich Strieder spätestens mit seiner umstrittenen Plakatkampagne an die Spitze der Berliner Saubermänner gesetzt. Für den SPD-Landesvorsitzenden waren die „provokanten Plakate“ im Nachhinein ein Erfolg. „Die Leute haben wieder über dieses Thema gesprochen.“

Doch offenbar zu wenig. Dass bislang nur drei Bezirke eine Umweltstreife eingerichtet hätten zeige, dass in vielen Bezirken noch „kein ausreichendes Problembewusstsein“ herrsche. Vor allem im Bereich der Repression sieht Strieder deshalb noch Handlungsbedarf. „Es bekommt Berlin nicht gut, wenn fünf bis sieben Prozent der Berliner tun, was sie wollen“, so lautet seine Drohung. Vorausgegangen war eine nicht repräsentative Umfrage in mehreren Bezirken, in der sich Anfang des Jahres 95 Prozent der Befragten für eine Veränderung des Stadtbildes ausgesprochen hatten. Als besonders störend wurden dabei Hundehaufen, Zigarettenkippen und Graffiti empfunden. Aber nur weniger als die Hälfte waren bereit gewesen, sich selbst zu engagieren.

Bis zum Beginn einer neuen politischen Initiative nach den Wahlen hält sich der Senator deshalb mit einer Anleihe an die heilige Schrift schadlos und hat mit gelben T-Shirts bekleidete PromoterInnen hinunter in die Stadt geschickt, auf dass sie dem Volk die „zehn Stadtgebote“ nahe bringen. Da heißt es unter anderem: „Beachten Sie die Geschäftsbedingungen – Verrichten Sie ihr 'Geschäft‘ dort, wo es hingehört.“

Ein weiteres Gebot lautet: „Kratzen Sie nicht ab!“ Doch diese Warnung Strieders an die sogenannten Scratcher, die in U-Bahnen die Scheiben zerkratzen, beinhaltete bei der gestrigen Bilanz der „Aktion Sauberes Berlin“ auch einen Moment der Nachdenklichkeit. „Es kann schon sein“, meinte Peter Strieder, „dass das Zerkratzen der Scheiben eine Art Rache dafür ist, dass die Graffiti nun konsequent entfernt werden.“ wera

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