: Krankfurt–Ballade in Manhattan
■ Nach der Uraufführung von „Der Müll, die Stadt und der Tod“ ist Fassbinders umstrittenes Stück jetzt auch für andere Bühnen frei / Micha Brumlik plädiert dafür, das Stück in Grönland und Gabun, danach erst in der BRD aufzuführen
Ohne Proteste, sondern mit Lob und Applaus ging die „Welturaufführung“ von R.W. Fassbinders „Müll“–Stück am Donnerstag in New York über die Bühne. Micha Brumlik, der engagiert gegen die Uraufführung des Stücks in Frankfurt eingetreten war, zieht ein Resumee. Wenn dieser Tage Rainer Werner Fassbinders Stück „Der Müll, die Stadt und der Tod“ an einer kleinen New Yorker Off–off–Broadwaybühne „welturaufgeführt“ wird, könnte es sich als eines der vielen künstlerischen Nichtereignisse erweisen, die dort Tag für Tag verglimmen. Fassbinders antijudaistisch grundierte Krankfurt–Ballade, deren geplante Aufführung in der Weltpresse Schlagzeilen machte, in dem sie die honorigen Vorstandsmitglieder der Frankfurter Jüdischen Gemeinde über die Bühnenbesetzung in den Hausfriedensbruch trieb und zu einer erbitterten Debatte über die Freiheit der Kunst unter bundesdeutschen Intellektuellen führte, scheint heute keine Katze mehr hinter dem Ofen hervorzulocken. Wo bleiben, so mag man oder frau sich fragen, die Kassandra–Rufe jüdischer Offizieller, wonach eine „Welturaufführung“ es jeder neonazistischen Laienspielschar gestatten würde, das Stück als antisemitische Provokation aufzuführen? Und vor allem: Warum wehrt sich die ach so mächtige und be drohliche jüdisch–zionistische–amerikanische Lobby nicht? Zunächst jedenfalls steht folgendes fest: - Das Problem der „Welturaufführung“, das noch den Frankfurter Kritikerpapst Iden so umtrieb, existiert überhaupt nicht! Die gerichtlichen Auseinandersetzungen zwischen Fassbinders Themenlieferant Zwerenz und Fassbinders Verlag, dem „Verlag der Autoren“, haben beinahe bewiesen, daß es das sagenhafte Testament überhaupt nicht gibt. Die vom „Verlag der Autoren“ immer wieder aufgestellte Behauptung, es dürfe dies Stück nach Fassbinders Willen nur in Frankfurt am Main, Paris oder New York uraufgeführt werden, ließ sich vor Gericht nicht erhärten. Es gibt Henryk Broders und Gerhard Zwerenz Vermutung Recht, daß es sich nur um einen schäbigen Reklametrick des „Verlag der Autoren“ handelt. - Fassbinders Stück war und ist nicht dazu geeignet, etwa im Großen Saal der Jugendherberge von Celle von der Wiking–Jugend aufgeführt zu werden. Zu grell die Sprache des Dramas, zu unkonventionell die Welt sexueller Inversionen, als daß es „normalen“ Rechtsextremisten zumutbar wäre. - Die Bühnenbesetzung und der darauffolgende Skandal sind auf andere Gesellschaften nicht übertragbar. Die symbolische Regelverletzung artikulierte einen existentiellen Prozeß, der so nur hier stattfinden konnte, da er Fragen verdeutlichte, die anderswo nicht drängen: Wie können Juden erhobenen Hauptes im Lande der ehemaligen Mörder und Mitläufer leben? Was schuldet die jüngere jüdische Generation der oft beschämten und verängstigten Generation ihrer Eltern? Und schließlich: Zu wieviel Takt und Schonung ist die deutsche Gesellschaft gegenüber den Opfern und zu wieviel wirklicher Aufklärung ist sie sich selbst gegenüber verpflichtet? All diese Fragen treffen für die USA - trotz des auch dort keineswegs geringen Antisemitismus - nicht zu. Daß Antijudaismus und Antisemitismus erwartbare, normale Bestandteile der christlich/abendländischen Kultur sind, haben die meisten Juden inzwischen resigniert zu akzeptieren gelernt: von Frankreich bis Argentinien, von den USA bis zur UdSSR. Doch das Verhältnis von Juden und Deutschen wird auf absehbare Zeit anormal bleiben, was auch Konsequenzen für den „normalen“ Antisemitismus nach und wegen Auschwitz haben muß: Die Bundesrepublik Deutschland sollte das letzte Land der Welt, nach Grönland und Gabun, sein, in dem Fassbinders zweifelhaftes Legat angenommen wird! Micha Brumlik
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