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Krank feiern – Lohnkürzung gerecht

■ betr.: „Bei Krankheit weniger“, taz vom 6. 4. 96

Derzeit wird an allen Ecken und Kanten des Sozialsystems der Bundesrepublik Deutschland gekürzt, oder es soll gekürzt werden. Die Schwächsten der Gesellschaft werden abgestempelt als ihre Schmarotzer.

In einer Gesellschaft, in der es Krankheit und Schwäche offiziell nicht gibt, sondern nur gesunde, schöne, voller Energie strotzende und arbeitsfähige Menschen, ist es fast eine logische Schlußfolgerung, daß – nach Norbert Blüm – nun die Kranken bestraft werden sollen. Schließlich ist er Bundesarbeitsminister und nicht Bundeskrankheitsminister. Sofortige Kürzung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ist doch nur gerecht, oder? Denn im Freizeitpark Deutschland feiert man ja krank!

Nur, daß die meisten noch mit Fieber sich zur Arbeit schleppen – das scheint in Politikerkreisen nicht verbreitet zu sein. Die Diäten laufen weiter. Oder sollen im Krankheitsfall Herrn Blüm und Herrn Kohl etwa ebenfalls die Diäten gekürzt werden?

Warum fängt man nicht endlich an, sich an neue Steuermodelle heranzutrauen, mit deren Hilfe eine Umverteilung des Geldes stattfindet. Ideen dazu gibt es genug in sogenannten „alternativen Kreisen“ (eins der berühmtesten ist wohl das von E. U. von Weizsäcker popularisierte Modell der „Ökologischen Steuerreform“).

Im Gegensatz zu Sonderabgaben, die eine zusätzliche Belastung darstellen, können mit Hilfe von Steuern Lenkabsichten verfolgt werden. Sie können zum Beispiel benutzt werden, Lohnnebenkosten zu senken, Löcher in den Rentenkassen zu stopfen und dazu beizutragen, daß sparsamer mit Umweltressourcen umgegangen wird.

Als Gegenargument wird oft angeführt, daß zusätzliche Steuern der Wirtschaft nicht zugemutet werden können. Hier sei nur angeführt, daß Ende letzten Jahres sich die Meldungen über Firmen häuften, die noch nie so hohe Gewinne eingefahren haben wie 1995. Und trotzdem führten sie radikale Rationalisierungsmaßnahmen durch auf Kosten der ArbeitnehmerInnen. Spätestens hier sollte es auch bei einem Bundesarbeitsminister „klick“ machen. Denn ist ein Arbeitsminister nicht auch dafür da, daß Leute ihre Arbeit behalten beziehungsweise eine bekommen? Jutta Krusenbaum, Aachen

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