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Kotzen ist Schummeln Von Ralf Sotscheck

Das Beste an der britischen Küche sind die indischen Restaurants. In Glasgow gibt es das „Bombay Blues“ gleich neben dem Hauptbahnhof. Und das hat zwei Spezialitäten: Bluesmusik vom Band und ein Buffet mit Selbstbedienung. Für umgerechnet 20 Mark kann man essen, soviel man will.

„Das werden sie bereuen“, sagte Tom, ein Kollege von einer schottischen Lokalzeitung. „Das Geld rentiert sich heute abend spielend, wenn wir mittags den Lunch ausfallen lassen.“ Als wir dann mit knurrenden, aber hoffnungsvollen Mägen im Restaurant standen, war kein Tisch mehr frei, und wir mußten uns zu sechs Herren setzen, die sich alsbald als professionelle Esser entpuppten. „Denen zeigen wir es“, raunte Tom mir zu. Unglücklicherweise hörte das sein Tischnachbar und schlug eine Wette vor. Wenn wir mit ihnen mithalten würden, wollten sie unsere Essen bezahlen. Wenn nicht, ginge der Wein auf unsere Rechnung. Zu meinem Bedauern willigte Tom sofort ein.

Die erste Runde verlief problemlos: drei Tandoori-Keulchen, zwei Zwiebel-Bhajis und ein paar Pakoras. Danach war ich eigentlich satt. „So, jetzt wird richtig gegessen“, meinte Douglas, wie der größte der sechs Vielfraße hieß. Er ging zum Buffet und kam mit einem Berg von Lamm-Korma zurück, dazu ein Nan-Brot. Wir mußten es ihm gleichtun. Danach ein Gemüse-Madras und ein Tikka Massala, alles mit Pilau-Reis und Nan-Brot. Die Noten berühmter Blues-Songs, mit denen die Wände dekoriert waren, begannen vor meinen Augen zu tanzen. Douglas hatte inzwischen ein Rindfleisch- Jalfrezi gewählt. „Rinder sind in Indien heilige Tiere“, wandte ich ein, doch Douglas ließ das nicht gelten: „Das hier sind säkularisierte Inder. Guten Appetit!“

Ich versuchte, mich zur Toilette zu schleppen, war aber aufgrund der erhöhten Körperfülle zwischen Wand und Tisch eingeklemmt. Ohnehin hatte Douglas, vermutlich ein Gewichtheber, meinen Aufstehversuch argwöhnisch beobachtet. „Kotzen ist Schummeln“, warnte er mich. Weil ich mich so amateurhaft anstellte, wollte er wissen, ob es in meiner Heimatstadt Dublin auch indische Restaurants gebe. „Doch, doch“, sagte ich. „Das älteste hat allerdings gerade dichtgemacht. Und keinen Tag zu früh.“ Ich war vor einer Weile mit drei Bekannten im Koh-I-Noor: Wir hatten vier völlig unterschiedliche Gerichte bestellt, die völlig identisch schmeckten – nach einer Gulasch-Fertigsauce aus der Tüte. Die Bedienung machte keinen Versuch zu leugnen. Was wir denn erwarten würden, wenn doch der Koch krank sei?

Douglas ließ sich durch meine Geschichte nicht ablenken. Er hatte für Nachschub in Form eines Madras-Currys gesorgt. Ich versuchte, den vorigen Gang – das Shawarma – im Blumentopf zu vergraben, doch die Pflanzen waren künstlich. Zwei Nan-Brote hatte ich mir bereits in die Strümpfe geschoben. Als Tom, der bis dahin erstaunlich gut mitgehalten hatte, zur Toilette ging, kippte ich ihm in einem unbeobachteten Augenblick meine gesamten Essensreste samt nagelneuem Madras-Curry auf den Teller und legte auch noch die beiden Nan-Brote aus den Strümpfen hinzu. Ich glaube, Tom verachtet mich seitdem. Aber er mußte den Wein bezahlen.

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